L-5 Birds flying high
Glockenläuten....
Die dröhnenden Bässe des Clubs…
Meine Eltern, die mich abweisend ansehen...
Emmett und Jasper...
Victoria, die den Weg zum Altar beschreitet...
Bella, tanzend...
Bella, Arm in Arm mit Jake...
Meine Kirche...
Bella, in einem schnellen Wagen...
Blaulicht überall...
Motorräder... ringsherum Motorräder...
Bella, lachend...
Ein Helikopter, der mich verfolgt...
Und ich rannte und rannte, kam aber nicht vom Fleck…
Schweißgebadet schreckte ich aus diesem Alptraum hoch und hatte sofort heftige Kopfschmerzen. Gepeinigt strich ich mir über die Stirn und massierte mir die Schläfen. Langsam, unendlich langsam öffnete ich schließlich meine Augen.
Herr im Himmel...
Zum Glück war es nicht sehr hell im Raum.
Aber irgendetwas stimmte nicht. Verwirrt sah ich mich um. DAS war definitiv nicht mein Zimmer. Sofort stieg mein Adrenalinspiegel. Wo war ich? Und wie war ich hier her gekommen?
Wenn nur nicht das Denken so unangenehm wäre...mein Kopf dröhnte
Ein Stöhnen neben mir weckte meine Aufmerksamkeit und ich blickte hinab zu Emmett, der neben mir auf dem Fußboden lag. Langsam begann ich zu begreifen, wo ich gelandet war. Nämlich in unserem Wohnzimmer, neben der Couch, von der, leise, schnarchende Geräusche von Jasper zu hören waren. Na, wenigstens lebte er auch noch.
„Was ist mit uns passiert?“, fragte ich Emmett, der sich langsam aufrichtete und mich aus halbgeschlossenen Augen ansah. Er gab ein paar schmatzende Geräusche von sich, ehe er antwortete.
„Nach dem üblen Gefühl in meinem Kopf und dem Drücken meiner Blase zu urteilen“, kam es heiser von ihm. „Sind wir gestern Nacht noch versackt.“
„Versackt?“, hakte ich verwirrt nach. Ich erinnerte mich dunkel, dass wir zusammen weg wollten und dass wir dabei auf Bella und Jake trafen. Und daran, dass Bella uns in einem Sportwagen nach Hause fahren wollte, aber danach war nur noch Leere. Nur Schwärze, in die einzelne Bilder von Polizeiautos, Verfolgungsjagden, Motorrädern und Bella blitzten. Aber das konnte alles nicht sein, das hatte ich sicher nur geträumt. Allerdings erklärte das immer noch nicht, warum ich hier mit Emmett auf dem Teppich lag und mein Kopf sich anfühlte, wie eine überreife Wassermelone. „Wollte uns Bella nicht nach Hause bringen? Daran kann ich mich noch erinnern, da war auch noch alles gut...mit meinem Kopf…“
„Naja“, kam es undeutlich von Emmett und er räusperte sich. „Sieht ganz so aus, als hätten wir hier weiter gefeiert.“
Mein Blick folgte seinem ausgestreckten Arm und landete erst mal auf dem Gummibaum neben der Couch und anschließend auf dem Wohnzimmertisch, auf dem sich mehrere halbleere Flaschen und drei Gläser befanden. Mit zusammen gekniffenen Augen versuchte ich, die Flaschenetiketten zu entziffern. Irgendwas mit T... und einem Kaktus drauf....
„Weiter gefeiert?“, wiederholte ich zaghaft. Doch es musste wohl so gewesen sein, denn in meinem Mund war ein ganz eigenartiger Geschmack und meine Zunge fühlte sich irgendwie pelzig an. „Was haben wir denn gefeiert? Das wir es nach Hause geschafft haben? Oder gab es noch einen anderen Grund?“
Mit Kopfschmerzen nachdenken, war eine wirklich unangenehme Sache. Es waren ja schließlich auch keine normalen Kopfschmerzen, sondern ein ausgewachsener Kater. Irgendwie fühlte sich mein Kopf an, als wollte er gleich explodieren und irgendwie wurde mir auch gerade leicht übel. Oh je. Wo war nochmal das Badezimmer?
„Ed“, hickste Emmett, „Versteh mich nicht falsch, aber du siehst echt Scheiße aus. Geht es dir gut? Du guckst, als würde dir gleich das Essen aus dem Gesicht fallen.“ Mit besorgter Miene bewegte er seinen Kopf in meine Richtung, bis seine Nase nur noch etwa fünf Zentimeter von meiner entfernt war. Ein paar Sekunden lang, starrte er mir einfach nur in die Augen und ich starrte zurück, unfähig, mich zu bewegen. Aber selbst das verursachte Schmerzen. Und irgendwie wurde mir auch immer flauer im Magen und in meinem Mund begann sich der Speichel zu sammeln. Jetzt musste ich aber handeln, sonst wäre es echt zu spät.
Wie von der Tarantel gestochen erhob ich mich, schlug mir die Hand vor den Mund und stürmte ins Badezimmer. Mir war zum Glück wieder sehr schnell eingefallen, wo es sich befand. Dort angekommen, riss ich den Toilettendeckel hoch und spuckte einen Schwall übelschmeckenden Mageninhalt in das Becken.
Kraftlos ließ ich mich zurücksinken und legte meine Stirn an das kühle Keramik der Toilette.
Herr...
Ich habe gesündigt...
Auch, wenn ich mich nicht erinnern konnte…
Ich versuchte, langsam durch die Nase zu atmen, um mich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Mein Kopf dröhnte, als ob ein Presslufthammer darin wüten würde. Mir fehlte einfach die Kraft mich zu erheben, also blieb ich einfach sitzen. Das war mir ja in meinem ganzen Leben noch nicht passiert.
Da ich leise vor mich hin dämmerte und dabei jegliches Zeitgefühl verloren hatte, wusste ich nicht, wie lange mein überstürzter Abgang aus dem Wohnzimmer her war, ehe ich ein zaghaftes „Edward?“ aus Richtung der Tür hörte. Ich brummte nur als Erwiderung. Zu mehr war ich nicht in der Lage. Meine Kopfschmerzen waren langsam ein wenig besser geworden, aber immer noch dröhnte es unbarmherzig in meinen Schläfen. In den letzten Minuten hatte ich darüber nachgegrübelt, warum sich jemand so etwas jedes Wochenende freiwillig antat. Warum tranken die Leute eigentlich immer wieder zu viel Alkohol, wenn es ihnen danach so schlecht ging? War es diesen kurzen Kick, dieses Hochgefühl wert?
In diesem Moment fühlte ich mich absolut bestärkt in meiner Lebensweise. Es war ja auch nicht so, dass ich überhaupt keinen Alkohol trank, aber ich war eben ein Gourmet und kein Gourmand. Gegen ein gutes Glas Wein zu einem guten Essen war ja auch nichts einzuwenden, aber um solche Saufgelage hatte ich in der Vergangenheit immer einen weiten Bogen gemacht. Egal ob es die Verbindungspartys während des Studiums gewesen waren, oder die Betriebsfeiern im Präsidium, ich hatte nie an einer teilgenommen. Es war schon schlimm genug für mich gewesen, an den darauffolgenden Tagen mit wandelnden Leichen, zerbrochenen Freundschaften und ungewollten Schwangerschaften konfrontiert zu werden. Das war nichts, was ich mir für mein Leben wünschte. Und verpasst hatte ich wohl dabei bisher auch nichts. Da war ich mir ganz sicher.
Aber vielleicht war es auch für meine Glaubwürdigkeit ganz gut, das einmal durchlebt zu haben. So konnte ich wenigstens sagen, dass ich ganz genau wüsste, wie es ist. Allerdings war ich somit auch ganz sicher, dass ich es nicht wiederholen wollte. Zumal ich mir eigentlich gar nicht vorstellen konnte, warum ich mich hatte so gehen lassen. Hatte es meine Tarnung erfordert? Immerhin konnte ich mir mittlerweile wohl sicher sein, dass Jasper und Emmett mich jetzt hundertprozentig für einen der Ihren halten würden. So hatte es wenigstens diesen positiven Nebeneffekt, auch wenn er teuer erkauft war.
Oder hatte ich im Vollrausch vielleicht was ausgeplaudert?
Siedend heiß durchfuhr es mich. Ich konnte mich wirklich an nichts mehr erinnern und hatte sicher nur Unsinn geredet. Was, wenn ich mich verraten hatte? Allerdings schien es den zwei anderen nicht besser zu gehen als mir. Also selbst wenn ich irgendetwas erzählt haben sollte, bestand die große Hoffnung, dass sie sich ebenfalls an nichts erinnern konnten.
Eigentlich war die Position, in der ich mich jetzt gerade befand, gar nicht mal so schlecht zum Nachdenken. Und zum Beten. Ich hatte ja mein morgendliches Gebet noch nicht absolviert. Ich atmete tief ein, um mich zu sammeln und begann leise vor mich hin zu murmeln.
Oh Herr,
vergib mir meine Sünden,
erlöse mich von den Qualen,
und stärke meinen Willen…
„Edward?“, die Stimme war jetzt ganz dicht an meinem Ohr. „Geht es dir gut?“
Ich nickte schwach. Dabei wollte ich eigentlich einfach nur meine Ruhe haben. Am Rande nahm ich war, dass Wasser lief und ein paar Augenblicke später wurde mein Kopf etwas zurückgezogen und etwas Kaltes, Nasses gegen meine Stirn gedrückt, was sich unglaublich angenehm anfühlte.
„Emmett?“, hörte ich jetzt Jaspers Stimme direkt neben mir, der sich eigenartiger Weise genauso anhörte wie immer. „Ich brauche mal eben deine Hilfe.“
Eine Sekunde später, wurde ich kräftig unter den Armen gepackt und nach oben gezogen. Mir fehlte einfach die Kraft und der Wille, mich zu wehren oder aber, dabei behilflich zu sein. Um es mal plump und in einem Jargon, der zu meiner derzeitigen Situation passte, auszudrücken: Mir ging alles am Arsch vorbei. Ich kicherte ein wenig über meine eigenen Gedanken, denn alleine, dieses böse Wort zu denken machte eine Beichte unumgänglich.
Meine Beine wurden nun ebenso angehoben und ich sah blinzelt zu Jasper und auf meine nackten Füße.
Wo waren meine Schuhe?
Und meine Socken?
Man, hatte ich einen Filmriss. Das macht mir wirklich langsam Sorgen.
Aber aufgrund der sich immer noch viel zu schnell drehenden Welt und des Stakkatos eines Presslufthammers in meinem Kopf, beschloss ich, nicht weiter darüber nachzudenken. Oder eben, es auf später zu verlegen. Mir kam dafür der Geistesblitz, dass es kein Wunder war, dass so viele betrunkene Einbrecher erwischt wurden, wenn das Denken noch, dank des Alkohols, so weh tat...
Ich musste grinsen. Jetzt war ich wirklich total daneben.
Ein paar Momente später, lag ich endlich in meinem Bett. Gedämpft nahm ich Geräusche um mich herum wahr. Es war, als hörte ich alles wie durch Watte.
„Hey, Edward“, mich rüttelte jemand heftig an der Schulter. Ich musste wieder weg genickt sein. Durch fast geschlossene Lider sah ich Jasper vor mir hocken, der mir ein Glas Wasser und eine Schachtel hinhielt. „Komm, nimm zwei Ibu, dann geht es dir bald wieder besser.“
Unter Anstrengungen richtete ich mich halb auf, so dass ich die Tabletten, die er mir hinhielt, mit dem Wasser runter spülen konnte. Kraftlos ließ ich mich dann wieder ins Kissen sinken und schloss ermattet die Augen. „Wie kommt es eigentlich“, fragte ich mit heiserer Stimme, „dass es dir nicht schlecht geht?“
Ich hörte ihn leise kichern. „Jahrelanges Training. Du glaubst gar nicht, was hinter der Bar so weggekippt wird. Außerdem ist bei mir, wenn ich schlafe, immer alles wieder gut. Und ich schlafe ab einem bestimmten Pegel grundsätzlich ein. Da habe ich ehrlich Glück. Sonst wäre ich schon tausend Mal gestorben…mindestens.“
„Und Emmett?“, brummte ich, die Augen weiterhin geschlossen, „wie geht es dem?“ Wenigstens ihm musste es doch ähnlich wie mir gehen. Immerhin hatten wir zusammen auf dem Fußboden geschlafen.
„Der duscht gerade“, kam es von Jasper, „danach ist der wie neu.“
Frustriert stöhnte ich auf. „Das ist ja so was von unfair!“ Sicherlich hielten mich die zwei jetzt für den totalen Loser.
„Und überhaupt. Warum haben wir gestern eigentlich hier noch weiter getrunken? Hatten wir in der Bar nicht schon genug?“, fragte ich nach einer Weile. Ich hatte kein Geräusch gehört, also ging ich davon aus, dass Jazz noch immer im Zimmer war.
„Doch. Eigentlich schon“, er klang amüsiert. „ Aber Emmett war anscheinend der Meinung, dass unsere sichere Heimkehr nach dem ganzen Trouble, gebührend gefeiert werden sollte. Ich hab da eh nicht so viel mitbekommen. Ich glaube, ich hab noch zwei oder drei mitgetrunken, ehe ich weitergeschlafen habe.“
„Ich frage mich immer noch, wie du im Auto schlafen konntest“, murmelte ich vor mich hin.
„Wenn Bella fährt, schlafe ich am besten“, er lachte leise, „durch das Schaukeln dauert es immer nicht sehr lange, bis ich fest eingeschlummert bin. Und bevor du fragst. Ich bin schon im wachen Zustand mit ihr mitgefahren, weiß also genau, wie sie fährt. Beim ersten Mal ist das ein echtes Erlebnis, oder?“
„Du kannst schlafen, OBWOHL du weißt, wie sie fährt?“, stöhnte ich verwirrt auf. Die hämmernden Schmerzen in meinen Kopf waren gerade etwas abgeebbt, aber das Nachdenken tat immer noch verdammt weh. Also sollte ich es für heute lassen.
„Natürlich“, antwortete er ruhig und ich bekam trotz meiner derzeitigen Lage, Zweifel an seiner Zurechnungsfähigkeit. Wenn ich das nächste Mal mit ihr mitfahren sollte, würde ich mindestens eine Kotztüte mitnehmen, besser noch einen Sturzhelm, oder am besten direkt beides. „Glaube mir, Edward“, er machte eine kleine Pause, „Tanzen ist nicht Bellas einziges Talent. Sie fährt wie der Teufel, da kannst du dir sicher sein. Besser als jeder, den ich kenne. Mich eingeschlossen. Den Wagen beherrscht sie im Schlaf. Ich weiß nicht mehr, was gestern vorgefallen ist, weil ich schon zu viel intus hatte. Und Emmett war ja ein wenig durch den Wind, aber sicherlich gab es keinen Grund, Angst zu haben.“
Ja, dass sie wie der Teufel fuhr, dem konnte ich mich nur anschließen. Aber ich brummte nur noch als Erwiderung, denn endlich wirkte das Schmerzmittel und ich glitt in einen tiefen, erholsamen Schlaf, und wurde dabei - Gott sei Dank - von weiteren Träumen verschont.
Irgendwann am späten Nachmittag wachte ich wieder auf, hatte dann gerade noch genügend Zeit zu duschen, ehe es wieder zum Arbeiten in den Club ging. Obwohl es erst Donnerstag war, ging es dort doch viel turbulenter zu, als am Anfang der Woche. Aber ich war wieder einigermaßen hergestellt, und deshalb kam ich klar.
Rosalie und Alice traten an diesem Abend auch wieder auf. Ich hätte mich gern ein wenig mit ihnen unterhalten, aber es ergab sich leider keine Gelegenheit dazu. Aber aufgeschoben war ja nicht aufgehoben. Und ich stellte wieder mal fest, dass die zwei einfach zu gut für einen Laden wie diesen hier waren. Aber ich konnte auch verstehen, dass sie das Geld brauchten. Ich hatte zwar selbst nicht nebenbei während des Colleges jobben müssen, da ich genug Geld von meinen Eltern bekam, kannte aber die finanziell Situation, in der sich die meisten Studenten befanden. Eben immer chronisch pleite. Und die gut bezahlten Aushilfsjobs waren rar gesät und fast nicht zu ergattern. Also blieb für die beiden wohl nur erst mal dieser Weg. Aber das musste ja nicht so bleiben und wenn ich mir Emmetts eifersüchtigen Blick ansah, war ich mit diesem Wunsch wohl nicht alleine.
Vielleicht sollte ich darüber einmal mit Pater Banner sprechen. Möglicherweise hatte er eine Idee. Er kannte doch die Gegend hier genau. Es musste einfach eine Lösung für die beiden geben, bevor sie vielleicht doch noch von der Verdorbenheit der anderen Tänzer angesteckt wurden und abstürzten. Sicherlich wäre es nur eine Frage der Zeit, ehe sie sich, für mehr Geld, ausziehen würden. Und wo das oftmals hinführte, war ja an den Zweitligatänzerinnen zu sehen. Die schienen für die richtige Summe ja wirklich alles zu tun.
Da im Club mehr los war als sonst in der Woche, ließ es sich auch nicht vermeiden, dass ich wieder auf Bella traf, denn sie war ebenfalls da. Heute allerdings zog sie sich nicht aus, sondern begnügte sich damit, lediglich zu Tanzen. Was aber auch nicht wirklich besser war. Jedenfalls für mich. Denn ihre lasziven Bewegungen, in der mehr als knappen Kleidung, verfehlten bei mir wieder nicht ihre Wirkung. Trotz des leise gemurmelten Psalms zur Ablenkung und meiner Absicht, heute DEFINITIV nicht hinzusehen. Aber zum einen war es ja meine Pflicht auf sie aufzupassen und darauf zu achten, dass sie niemand anfasste, und zum anderen war ich einfach unfähig meinen Blick von ihr zu nehmen. Ich konnte einfach nicht wegsehen.
Sie trug ein, im animalprint gehaltenes, Minikleidchen, was wirklich mehr zeigte, als bedeckte. Und bewegte sich darin mit einer Anmut, dass mir der Atem stockte. Ich versuchte es wirklich zu verhindern, aber auch diesmal bekam ich wieder eine Erektion. Nicht ganz so schmerzhaft wie beim letzten Mal, aber auch nicht wirklich besser. Ich verstand wirklich nicht, was mit mir los war. Ich war doch schließlich kein pubertierender Teeny. Und selbst in diesem Alter war mir das früher nie passiert. Da hatte ich wichtigeres zu tun gehabt, zum Beispiel meine schulische Laufbahn. Denn mir war immer schon bewusst gewesen, dass ich früh damit beginnen musste, mein Berufsleben zu planen, damit es erfolgreich wurde. Und jetzt? Saß ich hier, undercover, erfolgreich und holte wohl das nach, was ich früher unterdrückt hatte. Ich seufzte tief und rutsche hin und her, denn es war wirklich unbequem…
Sobald Bella sich anschickte die Bühne zu verlassen, ging ich in Richtung der Umkleiden. Ich brauchte unbedingt ein wenig frische Luft und etwas, um meine Nerven zu beruhigen. Emmett rief ich im Vorbeigehen zu, dass ich kurz draußen eine rauchen wäre und stürmte förmlich in den Gang zum Hof. Die Tür quietschte leise, als ich sie öffnete, und mich empfing die Stille, die ich dringend benötigte.
Eine kleine Lampe oberhalb der Tür beleuchtete den winzigen Innenhof, auf dem es wirklich nicht viel zu sehen gab, außer Gerümpel. Ich setzte mich auf einen Stapel Paletten, der gleich neben der Tür stand, und zog meine Zigarettenpackung heraus. Das war wirklich das einzige Laster, was ich mir gönnte. Gott möge mir verzeihen, aber ich war schließlich nur ein Mensch. Seufzend zündete ich mir eine an und lehnte den Kopf hinter mir an die Wand, als ich den ersten Zug nahm. Das tat gut! Tief inhalierte ich und beobachtete dann fasziniert, wie der Rauch, den ich ausatmete, in den klaren Nachthimmel stieg und dabei Spiralen formte.
Seltsamerweise verstand ich in dem Moment, warum viele nach dem Geschlechtsverkehr rauchten. Bisher war es mir immer ein Rätsel gewesen, aber es brachte einen wirklich runter. Innerhalb von Sekunden war ich wieder die Gelassenheit in Person und genoss, mit geschlossenen Augen, meine Zigarette.
Bis plötzlich etwas Warmes meine Hand berührte und sie nach hinten zog. Rein instinktiv schoss meine andere Hand in die Richtung, aber ich stoppte, als ich schmale, eindeutig weibliche Finger, an meiner Hand erkannte. Fassungslos sah ich Bella an, deren rotgeschminkte Lippen, sich langsam um den Filter meiner Zigarette schlossen. Sie hatte gerade die Augen geschlossen und nahm einen langen Zug, der die Asche am anderen Ende zum Glühen brachte.
Und schon hatte ich wieder ein Problem! Und zwar ein sehr großes…
Lieber Gott, was hatte ich eigentlich verbrochen, dass du mir eine solche Prüfung auferlegst?
Langsam löste sie ihre Lippen wieder vom Filter und ließ den Qualm entweichen.
„Möch.. möchtest du auch eine“, stammelte ich hilflos, denn ihre unmittelbare Nähe machte die ganze Sache nicht unbedingt leichter für mich.
„Klar“, antwortete sie mit ungewohnt heiserer Stimme und setzte sich dicht neben mich, ihre Schultern berührten dabei meine.
Schnell hielt ich ihr die Packung hin und schüttelte sie kurz, so dass eine einzelne Zigarette vor rutschte, die sie dann geschickt mit den Lippen herauszog. Mit zittrigen Fingern gab ich ihr Feuer.
Irgendwie machte mich die ganze Situation verdammt nervös. Hoffentlich merkte sie nicht, wie sehr.
Eigentlich war ja eigentlich nichts Besonderes dabei. Ich war nur hier. Mit ihr. Alleine. In einem schwach beleuchteten Hinterhof. Und sie hatte fast nichts an.
Unter normalen Umständen gar kein Problem für mich. Ich hatte in der Vergangenheit schon genug Prostituierte alleine verhört, die weitaus weniger trugen und versuchten, sich durch Sex freizukaufen. Und es waren nicht immer nur abgehalfterte Drogenleichen, sondern auch ab und an eine wirklich ansehnliche dabei. Aber ich blieb IMMER standhaft, dachte nicht einmal darüber nach. Diese Option kam einfach bei mir nicht vor – normalerweise…!
Aber das war ja bisher alles Pillepalle gewesen, gegen meine jetzige Situation. Und obwohl Bella sich nicht einmal einen Millimeter in meine Richtung bewegte, sondern einfach nur ganz entspannt neben mir saß, waren meine sämtlichen Muskeln angespannt. Mein ganzer Körper war in Alarmbereitschaft, so als würde ich neben einem bewaffneten Schwerverbrecher sitzen und nicht neben einer hübschen, jungen Frau.
Aber irgendwie wäre mir gerade der Schwerverbrecher lieber. Mit dem konnte ich umgehen. Jetzt aber, hatte ich keine Ahnung, was ich genau tun sollte. Ein Gespräch anfangen? Schweigen? Und wenn reden, über WAS? Das WETTER…? Die politische Lage im Land?
An sich war es eine ganz ähnliche Situation, wie in der VIP-Lounge neulich. Nur, dass ich nicht gefesselt war und sie nicht für mich tanzte. Aber alleine die Erinnerung daran, ließ meine Erregung wieder schmerzhaft groß werden. Ich bekam meinen Körper in ihrer Nähe einfach nicht unter Kontrolle. Es war, als hätte sie mich mit einem Fluch belegt. Als würde ihr Körper für mich singen wie eine Sirene. Und trotz dem ich mich an all die Hinweise hielt, die Pater Banner mir gegeben hatte, schaffte ich es nicht, ihr zu widerstehen. Ich verstand nur nicht den Sinn der Sache. Warum sollte Gott mir eine so schwere Prüfung auferlegen? Hatte ich ihn irgendwie verärgert?
Denn eines war mir mittlerweile klar: DAS würde die schwerste Prüfung meines ganzen Lebens werden. Denn so energisch mein Kopf auch ‚nein’ schrie und sich gegen die Sünde wehrte, mein Körper schien nicht darauf zu hören. Im Gegenteil, er wurde von ihr angezogen, wie von einem Magneten.
Verzweifelt richtete ich den Blick starr in die Dunkelheit, um bloß nicht weiter auf ihre entblößten Arme oder Beine zu sehen.
Eine Weile rauchten wir einfach schweigend nebeneinander, ehe ich es doch nicht mehr aushielt. Ich musste mich einfach entschuldigen, für das, was mir am Sonntag unabsichtlich passiert war. Auch wenn es mir mehr als peinlich war, überhaupt davon anzufangen.
„Du, Bella…“, begann ich vorsichtig und sie drehte den Kopf in meine Richtung und sah mich erwartungsvoll an. „Wegen Sonntag... es... es tut mir ehrlich leid. Also, dass ich.... dass ich...“, ich lief rot an und bekam das Wort einfach nicht über die Lippen.
„Das du in deiner Hose abgespritzt hast?“, beendete sie den Satz auf ihre gewohnt vulgäre Weise und ich wurde noch röter. Wenn das überhaupt möglich war. Langsam nickte ich und fischte mir eine neue Zigarette aus der Packung. Ohne die würde ich das hier jetzt nicht überstehen. Nikotin war eben mein einziges Laster.
„Kein Problem“, fuhr sie fort. „Ich hatte es ja eh darauf angelegt.“
„Äh, ok... aber ich hatte ja auch noch die Drogen im Blut“, warf ich erklärend ein.
„Glaube mir, Edward, die hatte damit überhaupt nichts zu tun“, sie lachte heiser und mein Magen machte Purzelbäume. „Wenn ich es wirklich gewollt hätte, wärest du sogar gekommen, ohne dass ich dich überhaupt berührt hätte. Aber ein wenig eigennützig war ich da schon, ich wollte ja auch was davon haben“, sie grinste zweideutig.
Ich sah sie verständnislos an. Wie sollte den das funktionieren? Ohne Berührung?
„Süßer“, sie tippte mir mit dem Finger gegen die Schläfe. „Sex findet im Kopf statt. Wenn da drin der richtige Film abläuft, ist alles möglich. Du musst dir nur vorstellen, wie es sich anfühlen würde, dazu die richtige visuelle Stimulation und schon geht die Post ab. Glaube mir, ich hab das schon öfter erlebt. Ich saß noch nicht mal auf den Typen, da war schon alles vorbei. In dem Sinne warst du richtig standhaft.“
Einen Moment lang sah ich sie einfach nur verwirrt an. Irgendwie kam ich überhaupt nicht damit zurecht, wie sie immer über dieses Thema redete. Ich wollte mir auch nicht wirklich vorstellen, wie sie für andere tanzte. Oder sie jemand anfasste. Ich fand es einfach nicht richtig und konnte mir nicht vorstellen, wieso eine hübsche, junge Frau wie sie hier landete. Denn es war ja nicht nur ein Nebenjob bei ihr. Eigentlich wusste ich überhaupt nicht, was sie so den lieben langen Tag machte. Nur, dass sie ein verdammt kostspieliges Auto fuhr.
„Wie bist du denn eigentlich hier gelandet?“, rutschte es mir heraus, ehe ich darüber nachgedacht hatte.
„Willst du die lange, oder die kurze Fassung?“, antwortete sie ohne Umschweife. Sie schien mir gar nicht böse zu sein, über diese sehr private Frage.
„Was dir lieber ist“, gab ich zurück. Es sollte ja nicht so aussehen, als würde ich sie aushorchen wollen.
„Tja…“, sie zog sich ebenfalls eine zweite Zigarette aus der Packung. „Wo fange ich an? Als Erstes solltest du wissen, dass ich in einem Heim aufgewachsen bin. Meine lieben Eltern haben sich damals nicht einmal die Mühe gemacht, mich zur Adoption freizugeben, sondern haben mich einfach, in eine Decke gehüllt, auf einer Parkbank abgelegt.“
Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Wie konnten Eltern nur ihrem Neugeborenen so etwas antun? Ein Kind war schließlich ein Geschenk Gottes und nicht irgendein Gegenstand, den man einfach irgendwo entsorgte, wenn er nicht erwünscht war. Augenblicklich tat sie mir unendlich leid. In meinem Kopf rasten sofort tausende Gedanken durcheinander. Über Kinderheime, Pflegeeltern, die sich nicht wirklich kümmerten und die vielen negativen Erlebnisse, die so ein Heimkind haben konnte. Und es musste Bella nicht gut ergangen sein, denn wie sollte sie sonst in dieses Milieu geraten sein?
„Ich wurde dann von Nonnen gefunden und in einem Kloster aufgezogen“, fuhr sie völlig emotionslos fort.
Mit offenem Mund starrte ich sie an. Sie war in einem Kloster aufgewachsen und war jetzt HIER? Wie bitte, war das denn passiert? Dann war sie ja wirklich ein verirrtes Schaf, was vom rechten Weg abgekommen war... ziemlich weit angekommen noch dazu...
Sie lächelte mich wissend an. „Jetzt staunst du was? Ich bin vermutlich genauso mit beten und beichten aufgewachsen, wie du. Und es ist auch so, dass ich irgendwie immer noch an Gott glaube. Na ja, vielleicht nicht immer, aber meistens. Wenn ich da drin bin und arbeite“, sie deutete mit dem Finger hinter sich, „ist er mir natürlich nicht sehr nahe, aber wenn ich in der Kirche bin, schon. Ist vielleicht schwer zu verstehen, aber ich bin halt so aufgezogen worden“, sie lachte leise.
„Und was ist dann passiert? Nach dem Heim?“, fragte ich leise nach.
„Ich bin abgehauen“, sie nahm einen tiefen Zug und atmete langsam aus. „Zusammen mit Jake.“
„Jake war auch im Heim?“
Sie nickte stumm und schnippte die Asche weg, ehe sie fortfuhr. „Seine Eltern starben beide bei einem Autounfall, als er noch klein war. Da er sonst keine Verwandten hatte, ist er ebenfalls in dem Kloster gelandet. Und dort habe ich ihn dann getroffen.“
Ich wusste gar nicht genau, was ich jetzt dazu sagen sollte. Denn beide hatten sie keine typische Kindheit mit heiler Familie, einem sicheren Zuhause und viel Liebe gehabt. Ich konnte mir gut vorstellen, dass die Nonnen natürlich versucht haben, ihr auch ein wenig Zuneigung zu geben, aber es war aber eben nicht dasselbe.
„Warum seid ihr nie adoptiert worden?“, fragte ich leise. Sie war doch sicherlich ein süßes, kleines Mädchen gewesen. Mit ihren großen, dunklen Augen und dem braunen, lockigem Haar, hätte sich doch bestimmt ein kinderloses Ehepaar gefunden, das sie gerne adoptiert hätte.
„Weil wir etwas... sagen wir mal... wild waren. Jake ist drei Jahre älter als ich. Als er zu uns kam, war er grad sieben und von Anfang an hingen wir zusammen wie ein paar Kletten. Auch gegen den Willen der Nonnen. Und natürlich gab es schon Interessenten. Aber die wollten immer nur ein Kind. Nicht zwei. Und uns hätte nichts und niemand mehr getrennt. Ich war mal für ein paar Tage bei einer Pflegefamilie, aber von da hat man mich zurückgeholt, da wir beide das Essen verweigert haben. Bei den nächsten Interessenten haben wir uns dann irgendwo versteckt, oder waren so frech, dass uns niemand mehr haben wollte. Als ich dann acht war, haben wir uns beide eine Glatze rasiert. Damit ich nicht mehr ‚so süß’ aussehe. Die Schwestern sind fast wahnsinnig geworden mit uns. Ich weiß nicht, wie oft wir irgendwelche Strafarbeiten aufgebrummt bekommen haben. Wenn die Äbtissin mich nicht so ins Herz geschlossen hätte, wären wir sicherlich in einem städtischen Heim gelandet. Aber so ließ man uns irgendwann einfach in Ruhe“, sie schüttelte lächelnd ihren Kopf, so als würde sie in Erinnerungen schwelgen.
Für einen Moment stellte ich mir die beiden, als Kinder, zusammen vor. Vermutlich waren sie der zweifache Alptraum der Ordensschwestern gewesen. Die waren doch sonst so froh, über jedes Kind, dass sie erfolgreich vermitteln konnten. Und dann waren da die zwei, die sich mit Händen und Füßen dagegen wehrten. Und das offensichtlich mit vollem Einsatz.
„Du warst der Liebling der Äbtissin?“, hakte ich etwas überrascht nach. Das interessierte mich doch nun wirklich. Meist waren das doch irgendwelche verknöcherten, alten Damen, die nichts mit Kindern anzufangen wussten und eigentlich nur für die Leitung des Klosters verantwortlich waren.
„Oh ja“, kicherte Bella. „Ich konnte auch lieb sein, weißt du?“ Sie lachte und stupste mich an, was sofort einen wohligen Schauer durch meinen Körper jagte. „Angeblich kann ich wohl ganz passabel singen und durfte bei der Messe immer das Ave Maria vortragen. Und tanzen kann ich ja auch ganz gut.“
Tanzen? Ich sah sie verständnislos an. Seit wann tanzte man im Kloster? Vor allem SO!
„Man merkt es vielleicht nicht mehr“, meinte sie und streckte ihre Beine, „aber ich habe eine klassische Ballettausbildung genossen. Und ab dem zwölften Lebensjahr kamen dann auch noch die Standarttänze dazu. Sie liebte es, mir beim Training zuzusehen. Hatte wohl in jungen Jahren selber mal getanzt“, Bella zuckte mit den Schultern, drückte dann die Zigarette aus, zog die Beine an und umschlang sie mit ihren Armen.
„Warum seid ihr dann genau abgehauen?“, fragte ich vorsichtig. So wie es gerade klang, schien sie sich ja dann doch mit der Situation arrangiert zu haben. Ich wusste, dass die meisten Nonnen ihr Herzblut für „ihre Kinder“ gaben. Und wenn jemand über so viele Jahre dagewesen war, ganz besonders. Selbst, wenn sie wirklich ein kleiner Raufbold gewesen war. Sicherlich war sie nicht nur der Liebling der Äbtissin gewesen. Und man hätte doch bestimmt dafür gesorgt, dass Bella, sobald sie alt genug war, irgendwo einen anständigen Job gefunden hätte. Oder, wenn sie talentiert genug gewesen war, hätte man ihr sicherlich ein Stipendium besorgt, so dass sie an ein College hätte gehen können. Warum warf sie dann so eine Chance weg? Warum war sie jetzt an einem Ort wie diesem gelandet? Sie hätte jetzt auch schon eine nette, kleine Familie haben können. Vielleicht hätte Jake sie auch geheiratet und sie hätte bereits Nachwuchs. Auch wenn DIESER Gedanke meinem Bauch ganz und gar nicht gefiel.
„Jake wurde neunzehn“, seufzte sie „und sie wollten ihn in irgendein Camp schicken, zur Ausbildung. Da haben wir eben unsere sieben Sachen genommen und sind gegangen.“
Es klang so einfach. So normal. Und nicht nach einer Entscheidung, die ihr ganzes weiteres Leben den Bach hinunterlaufen ließ. Da sie damals erst 16 gewesen war, hatte sie die Tragweite dieser Entscheidung wohl auch nicht richtig einschätzen können. Aber Jake hat es besser wissen müssen. Hätte sie davor schützen müssen. Ob er wohl jemals bedauerte, wohin das alles geführt hat? Ob er sich damals bewusst war, was sie hier erwartete? Wohin waren sie überhaupt damals gegangen? Ich konnte es mir das gar nicht vorstellen.
„Wohin?“, erwiderte ich deswegen.
„Na, auf die Straße, du Dummerchen. Wohin sonst! Wir hatten ja schließlich weder Geld noch Verwandte. Wir haben uns jahrelang dort, so gut es ging, durchgeschlagen und irgendwann landeten wir dann… hier.“ Sie kniff die Lippen zusammen. So wie es aussah, wollte sie darauf jetzt nicht näher eingehen. Und ich wollte da auch nicht weiter nachharken. Sie hatte schon so viel freiwillig von sich preisgegeben, da wollte ich sie jetzt nicht weiter drängen. Außerdem konnte ich mir auch so ein Leben auf der Straße vorstellen. Es war definitiv kein Zuckerschlecken. Aber war DAS dagegen besser?
Wo lebte sie jetzt überhaupt genau? Und wie kam sie an das teure Auto? Sicherlich bekam man das nicht an jeder Straßenecke geschenkt. In mir wuchs der Verdacht, dass sie tiefer drin steckte, als mir lieb war.
Herr, wie soll ich es schaffen, sie wieder auf den rechten Weg zu führen? Ihre Seele ist mehr als nur vom Weg abgekommen. Selbst, wenn sie noch immer gläubig ist, wird es doch sehr schwer werden.
Mir war jetzt klar, dass es ganz ohne Zweifel meine Aufgabe sein sollte, Bella zu helfen. Ich hatte nur leider überhaupt keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte. Wo ich beginnen musste. Es war sicherlich schon ein Erfolg, dass sie sich mir gegenüber geöffnet hatte. Mir frei heraus von ihrer Vergangenheit erzählt hatte und das, ohne irgendetwas von mir zu verlangen. Irgendwie schien sie Vertrauen zu mir zu haben. Vielleicht war das schon ein guter Anfang. Ganz sicher sogar.
„Du bist richtig nah dran, an dem da oben, oder?“, riss sie mich plötzlich aus meinen Grübeleien und zeigte mit dem Finger in den dunklen Nachthimmel.
„Öhm…jaaa“, ich räusperte mich. „Ich stamme aus eine sehr gläubigen Familie.“ Das war wenigstens nicht gelogen.
„Dachte ich mir“, antwortete sie und angelte sich eine neue Zigarette, die sie anzündete und mir wortlos rüber reichte. Ich nahm sie ihr dankend ab und beobachtete fasziniert, wie sie sich selber auch noch eine anmachte.
Ich wartete ein paar Minuten ab, aber als sie nichts weiter dazu sagte, hakte ich dann doch nach. „Willst du gar nichts Genaueres darüber wissen?“
Sie sah mich an und lächelte sanft. „Doch, klar. Aber du wirst es mir schon erzählen, wenn du soweit bist.“
Erstaunt sah ich in ihre Augen. Irgendwas an ihnen war anders als sonst. Aber ich konnte nicht genau sagen, was es war. Allerdings hatte ich mir bisher ihre Augen auch noch nicht so genau angesehen. Es war also durchaus möglich, dass sie einfach nur anders geschminkt waren als sonst.
Für einen Moment sahen wir uns einfach nur an und irgendwie.... veränderte sich was. Keine Ahnung, wie ich das beschreiben sollte, aber die ganze Stimmung wandelte sich. Und ich wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Es war nicht wirklich unangenehm, nur irgendwie anders.
Keiner von uns beiden sagte einen Ton, wir blickten uns einfach nur an. In dem schwachen Hof Licht wirkten Bellas Augen fast schwarz, wie tiefe Seen, deren Grund man nicht erkennen konnte. Nervös befeuchtete ich meine Lippen. Es lag etwas in der Luft und ich wusste einfach nicht, was als nächstes passieren würde. Woher auch, schließlich hatte ich mit fremden Frauen keine Erfahrung.
Ohne den Blick von mir zu nehmen, schnippte Bella die halb aufgerauchte Zigarette weg und lächelte mich eigenartig an. Instinktiv bewegte ich meinen Oberkörper nach hinten, wurde aber von der massiven Außenwand gestoppt. Mein Herz begann zu rasen und mir wurde warm. Unangenehm warm. Egal was sie jetzt vorhatte, es würde sicherlich nichts Gutes dabei herauskommen. Jedenfalls für mich…
Bella bewegte sich langsam auf mich zu, bis sie direkt über mir war. Ihr Gesicht war mittlerweile recht nah an meinem. Ich schluckte hart und leckte mir erneut die Lippen. Meine Augen gingen nervös hin und her, ich versuchte zu ergründen, was sie nun genau vorhatte.
Aber das erübrigte sich dann relativ schnell, denn im nächsten Moment lagen ihre weichen Lippen plötzlich auf meinen. Mit weit aufgerissen Augen, starr vor Schreck und unfähig mich zu rühren, ließ ich es einfach geschehen.
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