Freitag, 24. Juni 2011

L³ - 4 - join forces underground

L-4 Join forces underground




Die beiden Polizeiwagen wichen zur Seite aus und wir schossen in atemberaubendem Tempo durch die Lücke zwischen ihnen. Durch die wirklich sehr kleine Lücke. Während ich mich instinktiv am Türgriff festhielt, war von der Rücksitzbank nur Gejohle zu hören. Gut, sie schienen diese Aktion wohl schon zu kennen. Und zu lieben, so erfreut, wie es sich anhörte.

Ich. Aber. Nicht.

Geschockt warf ich einen Blick zu Bella, die konzentriert in den Rückspiegel sah. Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen, aber ihr Blick war ernst. Plötzlich nahm sie den Fuß vom Gas, trat auf die Kupplung und wechselte abrupt vom Rückwärtsgang in den Ersten Gang. Kaum war der Schaltknüppel in der richtigen Position, beschleunigte sie auch schon. Die Reifen quietschten und ich wurde mit voller Kraft in den Sitz gedrückt. Ein Glück wurde mir bei so was nicht schlecht. Mit Vollgas wendete sie auf der, Gott sei Dank, wenig befahrenen Straße und schoss dann in die entgegengesetzte Richtung. In der Dunkelheit vor uns war ein Meer aus Blaulichtern zu erkennen und mir wurde langsam doch schlecht. Aber nicht wegen ihrem rasanten Fahrstil, sondern weil ich an die Folgen dachte.

Wenn die uns jetzt schnappen würden, wie sollte ich es da verhindern, dass meine Tarnung endgültig aufflog? Ich hatte keine Ahnung, ob die Polizisten hier eingeweiht waren, aber ich bezweifelte es stark. Außerdem wäre ich nicht der Erste, der wegen so etwas Schwierigkeiten bekam. Bei meinem derzeitigen Glück würde sich sicherlich irgendeiner verplappern. Und das wär‘s dann.

Jesus Maria..... An was ich alles denken musste.

Irgendwie lief immer alles echt schief, sobald Bella in meiner Nähe war. Ich wusste nicht, ob das an ihr, oder an meiner Unfähigkeit lag, mich dann zu konzentrieren. Oder sie war schlicht und ergreifend ein Gefahrenmagnet. Das wäre dann aber wirklich übel für meinen Auftrag.

Bella hingegen schien völlig unbeeindruckt von dem ganzen Polizeiaufgebot zu sein. Mit einer Geschwindigkeit, die wirklich jenseits aller Begrenzungen lag, raste sie den Interstate Express entlang. Hinter uns Polizeiwagen, vor uns Polizeiwagen und auf den Zufahrtsstraßen noch mehr von der Sorte. Um uns rum, blinkte es blau. Unwillkürlich musste ich schlucken. So etwas, mal von der anderen Seite zu sehen, war wirklich ziemlich aufregend. Das musste ich mir heimlich eingestehen. Ich wusste ehrlich nicht, wie sie es dabei schaffte, so ruhig zu bleiben. Wahrscheinlich die Routine.

„Na, Ed“, Emmetts Hand lag plötzlich auf meiner Schulter, „Fängst du schon an, deinen Boss um himmlischen Beistand zu bitten?“ Er kicherte leise und ich verdrehte die Augen. „Prinzesschen“, er hickste und seine Hand verschwand von meiner Schulter und landete unkoordiniert auf Bellas Brust. „Upsi“, machte er, als Bella mit hoch gezogener Augenbraue nach hinten blickte und legte die Hand rasch auf ihre Schulter. „Hast du eigentlich schon gewusst, dass unser Ed hier, genauso einer ist wie du? Also nicht körperlich, da fehlt dir was, aber so geistig, weißt du? Auf spiri.. spiruna....“, er versuchte tapfer, das Wort über die Lippen zu bringen.

„Emmett…“, unterbrach sie ihn kopfschüttelnd. „Ich weiß, dass Edward Katholik ist, wenn du das meinst. Wobei ich denke, dass er in seinem Glauben tiefer verwurzelt ist als ich.“ Sie warf einen Seitenblick auf mich und lächelte süffisant. Dabei ging der Blick deutlich zu meinem Kreuz, das ich um den Hals trug.

Automatisch wurde mir siedend heiß. Hatte sie es etwa als das erkannt, was es war? Instinktiv bedeckte ich mein Kreuz mit der Hand und sie zwinkerte mir zu. Anscheinend wusste sie, was genau dieses Kreuz bedeutete und was es wert war. Ich hatte es von meinen Eltern zu meinem 18. Geburtstag bekommen und trug es seitdem mit großer Verehrung. Sie hatten es mir aus Rom mitgebracht. Es war eine exakte Nachbildung des Kreuzstabes, den der Papst besaß, gebildet aus filigranem Gold mit einem einzelnen kleinen Granaten. Wenn sie sich also wirklich im Katholizismus so gut auskannte, wie ich jetzt gerade annahm, kannte sie sicher den ideellen Werte dieses Schmuckstückes. Es stammte aus einer limitierten Auflage, die von einem ranghohen Bischof in der Petruskirche in Rom gesegnet worden war. Sicherlich war es deswegen nicht gerade billig gewesen, aber falls sie mich tatsächlich danach fragen sollte, könnte ich sie vielleicht mit einer Frage zu ihrem Auto ablenken.

Vorsichtig sah ich rüber zu ihr. Ich erwartete eigentlich, dass Bella jetzt konzentriert und angespannt dort sitzen würde. Aber das Gegenteil war der Fall. Sie wirkte fast schon fröhlich. Trotz des Bullen-Aufgebotes.

Wäre ich an ihrer Stelle, würde ich mir sicherlich in die Hosen machen. Denn natürlich hatte ich auch ein wenig Angst, was aber durch den hohen Adrenalinpegel gedämpft wurde. Ich wollte auch lieber nicht daran denken, was alles passieren konnte. Wir fuhren verdammt schnell, da konnte ein kleiner Fahrfehler ziemlich ungesund werden. Und wenn sie uns tatsächlich erwischten, wonach es grade sehr aussah, denn die Polizeiübermacht war gewaltig, konnte das auch unangenehm werden. Ich wusste aus der Praxis, wie mies Cops drauf waren, die bei einer Verfolgungsjagd so vorgeführt wurden. Vor allem von einer Frau. Sie würden extrem angepisst sein und nicht gerade zimperlich mit uns umgehen. Und auch ich würde mein Fett abbekommen, damit meine Deckung nicht aufflog. Eigentlich wünschte ich mir deshalb gerade, dass Bella ihnen entkam, auch wenn das total gegen meine Berufsehre ging. Aber wenn ich hier jetzt hautnah mitbekam, wie unprofessionell und taktisch unklug, die Polizei dort draußen reagierte, hatten sie es auch nicht anders verdient. Wir waren zwar wirklich sehr schnell unterwegs, aber trotz allem hatten sie eigentlich schon mehrere gute Chancen gehabt, uns einzukesseln und zu stellen.

Aber nichts dergleichen geschah.

Entweder reagierten sie zu viel langsam oder fuhren so zögerlich, dass sie gegen Bellas aggressiven Fahrstil keine weitere Chance hatten. Innerhalb von einer Viertelstunde war deshalb auch kein Blaulicht mehr vor uns, sondern mittlerweile alle hinter uns. Aber ich hatte auch eine kleine Ahnung, dass da mehr dahinter steckte. So dumm konnte die Polizei von Seattle doch nicht sein?

In atemberaubendem Tempo rasten wir mit unseren Verfolgern über eine Brücke und durch einen Tunnel, um anschließend im Stadtinneren zu landen, wo sich mein Verdacht bestätigte.

Ich wusste nur ehrlich nicht, ob ich mich jetzt darüber freuen sollte. Wohl eher nicht.

Denn auf dem Knotenpunkt der Schnellstraßen erwartete uns eine ganze Armee von Polizeifahrzeugen. Wenn ich vorhin schon dachte, dass das eine Unmenge an Verfolgern waren, dann wurde ich jetzt eines Besseren belehrt. Denn DAS waren jetzt definitiv viele Fahrzeuge. Und wir waren demnach nicht gejagt, sondern systematisch in eine Falle getrieben worden.

„Fuck“, fluchte Bella neben mir, als sie zu dem gleichen Schluss kam, wie ich und irgendeiner der Jungs hinter uns fing lautstark an, „Oh mein Gott, oh mein Gott“ zu jammern, dicht gefolgt von einem. „Ist das geil!“ Panisch sah ich zu ihr rüber und hoffte, dass sie jetzt irgendeinen klugen Plan hatte und nicht irgendetwas Dummes tun würde. Sie hatte die Situation schließlich bewusst herausgefordert.

„Mach mal schnell das Handschuhfach auf“, sagte sie plötzlich in meine Richtung und ich brauchte eine Sekunde, um überhaupt zu reagieren. Was sollte das jetzt? Aber ich tat, wie gewünscht. Hastig öffnete ich die kleine Klappe und sah mich eine Vielzahl an Dingen gegenüber, die ich dort jetzt nicht gerade erwartet hatte. Als erstes fiel mir ein länglicher, knallpinker Gegenstand ins Auge, der langsam auf mich zu rollte. Ich wollte nicht wirklich hinsehen, geschweige denn ihn anfassen, aber es war wie bei einem Autounfall. Ich konnte einfach nicht meine Augen von diesem... Ding lösen. Was wollte Bella bloß damit?

„War ein Geschenk von den bekloppten Jungs dahinten“, kam es von Bella, die meinen überraschten Blick bemerkte. „Sollte was Praktisches sein. Ein Vibrator kombiniert mit einer Taschenlampe. Wenn man die Eichel abdreht, hat man sieben LED’s, die einem dem Weg leuchten können. Quasi eine riesige Maglite mit Vibration“, sie grinste mich an. „Ist auch ziemlich stabil das Teil, geht nicht so leicht kaputt.“

Mit offenem Mund drehte ich meinen Kopf zu ihr. Geht nicht so leicht kaputt? Worauf sollte das jetzt hindeuten. Bitte nicht DAS, was ich jetzt angestrengt versuchte, mir NICHT vorzustellen.

Sie erahnte wohl meinen angestrengten Blick. „Oh, keine Sorgen. Nicht das, was du jetzt vielleicht denkst. Ich hab damit mal jemanden eins übergezogen“, lachte sie, „und du siehst, alles noch intakt. Sogar das Licht. Aber das ist jetzt nicht das, was ich brauche. Kram‘ mal bitte weiter.“

Mit spitzen Fingern schob ich den Wirrwarr etwas zur Seite. Was davon sollte uns jetzt in dieser Situation bitte behilflich sein? Als nächstes kamen nämlich mehrere Packungen Kondome zum Vorschein, die ich achtlos zur Seite schob und die Aufschriften wie „Lustecht“, „Megapotenz“, „Super Rubber“ oder „Erdbeere“, einfach mal ignorierte. Aber ein klein wenig war ich schon beruhigt, dass Bella sich doch wohl beim Sex schützte. Wenigstens etwas Voraussicht. Dann hatte ich ein schwarzes Stück Stoff in der Hand. Irritiert hielt ich es Bella entgegen, die sich sofort nach hinten drehte und „Eh Jake“, kicherte, „deine Boxershorts sind wieder aufgetaucht.“ Vom Rücksitz kam ein freudiges Brummen und ich ließ sie sofort fallen. Die waren doch nicht etwa gebraucht?

Leicht angeekelt schob ich sie zur Seite, wühlte mutig weiter und fühlte dann etwas Kaltes, Metallisches. DAS erkannte ich zur Abwechslung mal sofort. Aber rein beruflich versteht sich.

Es waren Handschellen.

„Ach, da waren die versteckt. Da kann ich ja lange suchen“, gluckste Bella. „Guck mal da drunter, da müsste er eigentlich sein.“

ER? Vorsichtig schob ich die mattschwarzen Handschellen zur Seite und darunter kam tatsächlich eine Art Figur zum Vorschein, die ich fragend hochhielt.

„DA isser ja!“, sie schnappte sich das Ding aus meiner Hand und stellte es dann auf das Armaturenbrett. Augenscheinlich war es mit einem Saugnapf zu befestigen. „Man, hab‘ ihn schon vermisst. Und Chris wird uns helfen, das hier heil zu überstehen.“

Chris? Oder meinte sie etwas Chris-tus? Ne, DAS sicherlich nicht. DAS wäre zu abwegig, sogar für Bella.

Ich sah mir das Ding jetzt genauer an. Es war so etwas Ähnliches, wie einer dieser Wackel-Elvis-Figuren. Nur, dass dieser hier Flügel hatte und ein Lenkrad in den Händen hielt. Sollte das etwa der Heilige Christopherus, Schutzpatron aller Autofahrer, sein?

Ach du meine Güte.... Nicht nur, dass Bella einem Heiligen Kosenamen gab, sie hatte auch eine Witzfigur von Glücksbringer aus ihm gemacht. Von so etwas hatte sie sicherlich keine Hilfe zu erwarten.

Sichtlich verwirrt sah ich auf und bemerkte, wie sie plötzlich ihr Handy aus ihrer Hose fischte, es in die Freisprecheinrichtung steckte und über Kurzwahl eine Nummer wählte.

Wen wollte sie denn JETZT noch anrufen? Gott persönlich würde sicherlich nicht ans Telefon gehen. Und jemand anders konnte hier wohl nicht mehr helfen, ODER?

Das Klingeln war trotz des röhrenden Motors gut zu hören. „Mmmmh“, meldete sich nach dem dritten Mal eine eindeutig männliche Stimme. „Was will die schönste Frau diesseits des Mississippi von mir?“ Bitte? Ich hatte mich gerade wohl verhört?! Wie konnte man nur so ans Telefon gehen? Hatte sie ihn jetzt gerade geweckt oder warum reagierte er so? Wo ich gerade darüber nachdachte: Wie spät war es eigentlich? Ein kurzer Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es halb drei am Morgen war. Also war das mit dem Aufwecken wohl doch nicht so weit hergeholt.

„Roll dich mal kurz von der Frau runter, auf der du gerade liegst, Süßer. Ich brauch mal eben deine Hilfe“, kam es von Bella, während sie dem einzig freien Weg folgte, der nicht durch Polizeiautos versperrt wurde. So wie es aussah, wollten die Cops sie in eine bestimmte Richtung treiben. Eigentlich doch gar nicht so dumm. So hätte ich es wahrscheinlich auch geplant. Aber nein, schalt ich mich innerlich, ich gehörte ja jetzt offiziell zur „anderen“ Seite, da durfte ich nicht mehr andauernd denken wie ein Cop.

Die Stimme am anderen Ende der Leitung war schlagartig hellwach. „Was ist los, Süße? Wo klemmt‘s? Was kann ich tun??“ Ein Lächeln schlich sich auf Bellas Gesicht. Sie strahlte förmlich. Hatte das jetzt mit diesem Mann zu tun, oder mit der Tatsache, dass er sofort bereit war, ihr zu helfen? Nur, was bitte wollte er aus dieser Entfernung tun? Ich war echt ratlos.

Bella kicherte leise. „Chief Swan ist los und diesmal hat er wohl alles mobilisiert, was ganz Seattle zur Verfügung hat.“

Ein heiseres Lachen klang durch das Telefon. „Was erwartest Du? So, wie du ihn immer ärgerst, war damit irgendwann zu rechnen. Also, sag schon. Wo steckst du?“

„Auf der Fünf, ein paar Minuten vor dem Abzweig Richtung Harbor Island. Die Bullen versperren sämtliche Abfahrten und bilden eine einzig freie Gasse, der ich folgen muss. Wahrscheinlich lande ich am Ende direkt vor dem Polizeipräsidium. Fehlt nur noch die Geschenkschleife…“

„Ooops, böser Fehler. Dir ist aber klar, dass du noch ein gutes Dutzend Tütchen im Wagen hast, oder Schatz?“, antwortete der heisere Typ sofort.

Tütchen? Kokain? Sie hatte Drogen im Wagen? Ach du meine Güte. Wir waren erledigt. Aber TOTAL.

„Yepp“, Bella schnalzte mit der Zunge. „Ansonsten würde ich Dich doch nicht anrufen und Dich um deinen wohlverdienten Beischlaf bringen.“

Er schnaubte laut hörbar. „ Na, wer’s glaubt…“, nun war irgendein raschelndes Geräusch zu hören. „Okay. Ich horche mal eben nach dem Polizeifunk, warte mal einen Augenblick.“

„Ich halte solange die Leine fest“, antworte Bella grinsend und wieder war ein Lachen zu hören. Irgendwie schien keiner von beiden die Situation wirklich ernst zu nehmen. War ich da etwa der einzige? Wahrscheinlich. Ich seufzte tief.

„Du, Bella …“, fing ich also vorsichtig an, „wäre es nicht vielleicht besser, sich jetzt zu stellen? Du hast doch eigentlich überhaupt keine Chance mehr, dem hier zu entkommen...“ Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn sie uns erwischten. Mit den Drogen im Auto, da wäre ihr der Knast gewiss. Aber wie wollte sie hier nur unbeschadet raus kommen? Sie machte doch alles nur noch schlimmer, wenn sie sich mit den Cops erst ewig ein Katz und Maus Spiel lieferte. Da waren sie mit Sicherheit verhandlungsbereiter, wenn sie jetzt aufgeben würde. Also musste ich sie davon überzeugen.

„Stellen? Edward, das kann nicht dein Ernst sein! Wenn die uns kriegen, gehen wir alle in den Bau. Und das lange. Du übrigens auch, denn unter deinem Sitz ist eine unregistrierte Waffe. Und glaub mir, sie werden Dir nicht mal zuhören, wenn Du ihnen erzählen willst, dass Du davon vorher nichts gewusst hast!“

„Eine WAFFE?“, fragte ich perplex. Oh nein, jetzt saß ich wirklich bis zum Hals im Dreck.

„Ja klar, hast du gedacht eine Tüte Gummibärchen? Wie bist du nur die ganze Zeit in Chicago klar gekommen?“, schmunzelnd schüttelte sie den Kopf. „Ist aber eigentlich Jakes.“

Na super, dass half uns aber jetzt auch nicht gerade. „Und du hast die Waffe und die Drogen einfach, ohne Aufsicht, in einem geparkten Auto liegen lassen? Über mehrere Stunden?“ Ich konnte es gar nicht glauben.

„Klar“, sie drehte kurz den Kopf und sah mich durchdringend an. „Mein Auto fasst hier in Seattle KEINER an. Jedenfalls keiner, der an seinem Leben hängt…“

Einen Moment lang herrschte Stille, ehe ein Knacken uns aufschrecken ließ. „So“, meldete sich der Typ zurück und Bella wandte den Kopf wieder nach vorne. „Aktuelle Meldung: Das Vögelchen ist im Käfig.“

„Das bin dann ja wohl ich, oder?!“, murmelte sie vergnügt. Irgendwie schien sie immer noch Spaß an der ganzen Sache zu haben. Entweder hatte sie irgendein Ass in Ärmel, von dem ich nichts wusste, oder sie war einfach vollkommen durchgeknallt. Dabei war sie ja nicht einmal alkoholisiert. Und ich hatte auch nicht gesehen, dass sie irgendwelche Drogen genommen hatte. Wäre mir irgendein Anzeichen dafür aufgefallen, würde ich jetzt bestimmt nicht neben ihr im Wagen sitzen. Sie war dann also vollkommen nüchtern, aber leider auch vollkommen weltfremd. Das hier würde definitiv in die Hose gehen.

Durch das Telefon waren mittlerweile schabende Geräusche und Türklappern zu hören. Dann war kurz Stille. „Hörst du mich noch?“

„Klar und deutlich“, entgegnete Bella. Ich nutze die Zeit und warf einen kurzen Blick nach hinten. Jasper lehnte, trotz der dramatischen Situation, in der wir uns alle befanden, friedlich schlafend an Emmetts Schulter, der wiederrum mit großen Augen nach draußen schaute und sich das gebotene Spektakel nicht entgehen ließ. Jake dagegen, saß mit verschränkten Armen gelassen daneben und zwinkerte mir zu. Noch einer, der sich keine Gedanken zu machen schien. So wie es aussah, vertrauten Jake und auch die anderen beiden, vollkommen auf Bellas Fahrkünste. Aber müsste er denn nicht eigentlich ein wenig sauer auf sie sein oder so? Immerhin hatte sie den Typen am Telefon „Süßer“ genannt und er hatte ganz offensichtlich ebenfalls mit ihr geflirtet. Wenn das jemand mit Victoria machen würde... nicht auszudenken. Nicht einmal ich gab ihr irgendwelche kindischen Kosenamen. Sie verzog schon das Gesicht, wenn ihre kleine Cousine sie „Tante Vicky“ nannte. Wenn jemand sie „Süße“ nennen würde, bekannt hin oder her, wäre ihm sicherlich eine Ohrfeige gewiss.

„Okay. Das ist sehr gut“, irgendein lautes Motorengeräusch war im Hintergrund zu hören. „Wir machen uns jetzt los hier und gabeln dich auf. Schau, ob du nicht irgendwo durchbrechen kannst. Ansonsten wird es schwierig...“

„In Ordnung. Krieg ich hin. Ich seh‘ dich dann gleich… “, Bella klang ruhig, fast entspannt. Wie machte sie das? Ich konnte förmlich das Adrenalin auf der Zunge schmecken.

„Nicht, wenn ich dich zuerst seh‘…und Süße?“, in der Stimme klang jetzt echte Besorgnis mit. „Fahr vorsichtig, ja?“

„Ich fahre immer vorsichtig“, entgegnete Bella kichernd.

„Ich weiß“, er machte eine kleine Pause. „Und trotzdem muss ich dir mal wieder deinen hübschen Hintern retten.“

„Stell Dich nicht so an, das tust du doch gerne“, antwortete sie frech. „Bis gleich, ich melde mich, wenn ich durch bin.“

Jetzt wusste ich so langsam nicht mehr, was ich denken sollte. Sie wollte durchbrechen? Mit dem Wagen? Durch die Polizeiabsperrung? Also, wenn wir einen Panzer fahren würden, dann hätten wir wirklich gute Chancen, aber mit dem Karren hier? Was war mit den Spoilern? Und bei so einer flachen Flunder hob man leicht ab, wenn man versehentlich mit irgendetwas kollidierte. Vor allem bei den Geschwindigkeiten mit denen sie so unterwegs war.

Wir rasten weiter an den Hochhäusern der schlafenden Stadt vorbei. Auf jeder kleinen Seitenstraße, die vom Highway weg führte, standen mindestens zwei Polizeiwagen und versperrten diese. Meist auch sehr professionell, da gab es wirklich kein Vorbeikommen. Doch plötzlich verringerte Bella das Tempo und fuhr, trotz Sperre, in eine der Abfahrten. Allerdings sah ich nicht wirklich eine Möglichkeit, da vorbeizukommen. Und ich war wirklich kein schlechter Fahrer und hatte ein gutes Augenmaß.

„Öhm, Bella…“, machte ich wieder. „Da ist nicht wirklich viel Platz...“ Besorgt sah ich auf die beiden Polizeiwagen, die eng auf dem Knotenpunkt zwischen Zu- und Abfahrt standen.

„Doch, doch. Du siehst es gleich“, antwortete sie, fuhr langsam an der Ausfahrt vorbei und blickte nach rechts. Nach was suchte sie? „Bingo“, kam es freudig von ihr und sie gab wieder Gas. Auf Höhe der Einfahrt zog sie plötzlich die Handbremse an, so dass unser Wagen eine perfekte 180 Grad Drehung beschrieb und schoss, entgegengesetzt der Fahrtrichtung, auf die Polizeiwagen zu. Tatsächlich standen sie etwas weiter auf der Ausfahrt, so dass hinter ihnen ein schmaler Streifen frei war, durch den wir mit viel Glück passen würden. Aber wie hatte sie das aus der Entfernung sehen können? Oder war es nur eine Vermutung gewesen?

Allerdings bemerkte einer der Officer natürlich, was sie vor hatte und startete schnell seinen Wagen, um die Lücke zu schließen. Mein Herz klopfe mir mittlerweile bis in den Hals, während der Polizeiwagen sich langsam in Bewegung setzte. Bella reagierte sofort und legte einen niedrigeren Gang ein. Der Wagen ruckte kurz ein wenig, nur um dann extrem zu beschleunigte. Jasper konnte doch jetzt unmöglich noch schlafen, oder doch?!

„Festhalten“, knurrte Bella und ich krallte mich instinktiv in den Sitz. „Vielleicht solltest du jetzt doch mal mit beten anfangen“, fügte sie noch leise hinzu. Links von uns war eine massive Lärmschutzwand, rechts das Polizeiauto. Mit viel Glück würde es gleich genau meine Seite erwischen.

Ich schloss schon mal instinktiv die Augen und murmelte ein stilles Gebet. Denn ich konnte einfach nicht hinsehen. Das konnte einfach nicht gut gehen. In Moment war ich einfach nur froh, dass das Ding Airbags hatte. Ein GTR hatte doch Airbags, oder? Einen Augenblick lang verfluchte ich, dass ich mich nie sonderlich für Autos interessiert hatte. Ich konnte sie unterscheiden und liebte meinen Vanquish abgöttisch, aber ansonsten war ich wirklich ahnungslos, was Details betraf.

Als ich dann schließlich Metall quietschen und Bella sehr undamenhaft fluchen hörte, dachte ich schon, es wäre vorbei. Aber eigenartigerweise bewegten wir uns immer noch, mit nahezu unverminderter Geschwindigkeit, vorwärts.

Vorsichtig öffnete ich ein Auge und sah in die Dunkelheit vor uns. Kein einziges Blaulicht war weit und breit mehr zu sehen. Nur einsame Straßenlaternen.

Wie war das möglich?

Erleichtert atmete ich die angestaute Luft aus, die ich wohl unbewusst angehalten hatte. Wir hatten es tatsächlich geschafft. Es war vorbei. Jetzt konnten wir ENDLICH nach Hause fahren. Oder?

Ein leises Sirenengeheul in der Ferne ließ mich allerdings erneut erschaudern. Waren die etwa immer noch hinter uns her? Panisch blickte ich zu Bella, die aber immer noch ganz ruhig wirkte und erneut die Kurzwahl ihres Handys betätigte.

„Bin durch“, sagte sie knapp und ein leises Seufzen war zu hören. „Hattest du etwa Angst um mich?“, fügte sie grinsend an.

„Natürlich“, antwortete der Typ sofort. „Denn aus dem Knast hätte ich dich nicht raus holen können, dass weißt du. Ich habe dir schon so oft gesagt, dass du den Chief nicht immer so reizen sollst. Irgendwann musste das ja passieren. Langsam kennt er alle deine Tricks...“

„Ja, Papa“, erwiderte Bella lachend.

„Hast du mich gerade etwa „Papa“ genannt?“, grollte der Typ. „Und wegen dir bin ich gerade extra aufgestanden und habe die Jungs zusammen getrommelt. Du kleines, undankbares Etwas.“

„Och, Hasimausi“, antwortete ihm Bella beschwichtigend und ich hörte ein Lachen vom Rücksitz. „Nicht böse sein. Ich mach es Dir auch am Körper wieder gut.“ Ihre Stimme schnurrte förmlich. „Hab übrigens grad die Handschellen gefunden, die wir letztens gesucht haben. Waren im Handschuhfach.“

„Mhmmm“, machte der Typ und am Klang seiner Stimme war unverkennbar, in welche Richtung seine Gedanken gingen. „Bist du allein unterwegs?“

„Nein, Süßer. Leider nicht. Ich war mit den Jungs aus. Allein würde ich mich doch nie trauen, den Chief dermaßen zu ärgern. Da verschwinde ich doch ungesehen in irdendeinem Loch und er schmeißt den Schlüssel weg.“

„Schade eigentlich“, kam es von dem Typen. „Sonst hättest du noch mit zu mir kommen können. Aber nun denn, dann werden wir euch erst einmal sicher da raus holen. Damit der Chief dich nicht doch noch zu fassen kriegt. Wäre schade, wenn du in seinem Knast langsam Falten bekommst…“

Also, jetzt verstand ich nur noch Bahnhof. Aber nicht wegen der Polizei, sondern wegen Jake. Es war mir immer noch unbegreiflich, dass er zu dem Ganzen hier nichts sagte. Führten die zwei etwa eine offene Beziehung oder warum ließ er Bella hier so schamlos mit dem Fremden am Telefon flirten? In meinem Kopf rotierten die Gedanken. Einerseits über die Polizei und meine Tarnung. Andererseits über Bella, Jake und diesen Typ, mit dem sie ständig telefonierte. Und so langsam tat mir echt auch der Kopf weh. Vielleicht hätte ich weniger trinken sollen.

Ganz sicher hätte ich weniger trinken sollen. Und ich hätte nicht in dieses Auto steigen sollen. Am besten ich wäre gar nicht erst mitgekommen. Oder wenigstens zurück nach Hause gefahren, sobald ich Bella gesehen hatte. Denn irgendwie zog sie den Ärger magisch an. Und genau das, konnte ich eigentlich gar nicht gebrauchen. Doch seltsamerweise fühlte ich mich nicht unwohl in ihrer Gegenwart. Eher das Gegenteil war der Fall. Ich fühlte mich pudelwohl. Bis auf meinen Kopf, aber dafür konnte ich Bella nicht die Schuld geben.

Und obendrein müsste ich ja jetzt auch komplett panisch sein. Wir lieferten uns hier eine Verfolgungsjagd mit der Polizei, wie ich sie noch nie live erlebt hatte und ich hatte NUR ein wenig Kopfweh vom Trinken. Und überhaupt: So viel Aufruhr wegen einer Person? Was war an Bella, bitte schön, denn so besonders? Eigentlich, war sie doch nur eine kleine Stripperin, die anscheinend ab und an auch als Drogenkurier arbeitet, oder? Ein Dutzend Tüten war zwar eine ganze Menge, aber an sich nicht wirklich ungewöhnlich. Eher die Tatsache, dass sie es im Auto, zusammen mit einer Waffe, hatte liegen lassen. Unbeaufsichtigt! Wenn ich alleine daran dachte, was hätte alles passieren können, wenn irgendein Jugendlicher ihr Auto geknackt hätte. Was der hätte damit anstellen können...

Grundgütiger...

Aber sie hatte mit einer solchen Vehemenz in der Stimme behauptet, dass keiner ihr Auto anrühren würde. So, als gäbe es daran überhaupt gar keinen Zweifel. Was hatte das zu bedeuten? Wie konnte sie sich da so sicher sein? Sicher, ihr Auto war mehr als auffällig und gab es kein zweites Mal in dieser Ausstattung, aber gerade das lockte doch Diebe an.

Ich verstand eigentlich gar nichts mehr.

Vor allem aber nach wie vor, warum so eine Aufwand wegen ihr betrieben wurde. Sie war ja nicht Al Capone, oder?

Aber wenn ich das Meer an Blaulicht um uns herum betrachtete, schien die hiesige Polizei das irgendwie anders zu sehen. Wenn ich nur daran dachte, was dieser Einsatz für Kosten verursachte. Und das alles nur wegen Bella?

WER war SIE?

Irgendwas Besonderes musste doch dann an ihr sein. Ich kam aber nicht wirklich zum Nachdenken, denn irgendwie waren jetzt vor und hinter uns wieder eine Menge Blaulichter zu sehen. Hörte das denn nie auf? Aber Bella fuhr unbeeindruckt weiter, direkt auf die Reihe von Polizeiautos zu, die uns entgegen kamen und dabei die komplette Straße einnahmen.

„Bella?“, probierte ich es wieder vorsichtig. „Da vorne kommt was…“

„Ich weiß“, erwiderte sie schmunzelnd und trat ungerührt aufs Gaspedal, so dass wir jetzt noch schneller auf die Cops zurasten und meinen Herzschlag sich nahezu verdoppelte. Plötzlich schlug sie das Lenkrad hart nach links ein und fuhr, etwa noch hundert Metern von den Cops entfernt, in eine schmale Seitengasse, in der sie mit unverminderter Geschwindigkeit weiterfuhr. Dass die Gasse maximal einen halben Meter breiter war als ihr Auto, schien sie nicht wirklich zu stören. Mich aber immens. Ein paar Müllsacke, die herumlagen, wurden aufgewirbelt und der Müll gleichmäßig hinter uns verteilt. Und immer noch folgten uns hartnäckig einige der Cops. Die anderen würden derweilen sicher versuchen, uns irgendwo den Weg abzuschneiden. Wobei ich nicht sicher war, wie sie das, bei dem Tempo mit dem wir unterwegs waren, bewerkstelligen wollten.

„Wo seid ihr?“, fragte Bella plötzlich und bekam sofort Antwort. „Auf der Achtundachzigsten und hier stehen auch ein paar Bullen herum. Haben uns aber noch nicht entdeckt.“

„Okay“, antwortete Bella und schoss über eine der Hauptstraßen, ohne auch nur den winzigsten Versuch zu unternehmen, dabei etwas abzubremsen. „Hab gerade die Achtundsechzigste passiert, bin in zwei Minuten da.“

Wir passierten in diesem mörderischen Tempo noch drei weitere Straßen. Weiterhin verfolgt von den Cops, deren Abstand aber immer größer wurde, ehe Bella mit angezogener Handbremse den Wagen auf eine breite Hauptstraße fuhr, auf der nur ein paar wenige Blaulichter zu sehen waren. Mir war nicht wirklich klar, was sie für einen Plan verfolgte. Wollte sie die einfach nur alle abschütteln? Oder spielte sie weiterhin Katz‘ und Maus mit ihnen?

Bella fuhr nun relativ langsam die Straße entlang und schien zu horchen. Erst verstand ich nicht, was das sollte, bis ich den vertrauten Klang von Rotorenblättern hörte.

Ich fasste es nicht! Ein Polizeihubschrauber.

Das verschlimmerte die Situation natürlich wieder. Um nicht zu sagen, erheblich. Liebe Güte, wo war ich da nur hineingeraten. Gottes Wege sind natürlich unergründlich, aber im Moment auch ziemlich …. chaotisch. Die ganze Situation spitze sich immer mehr zu und ich hatte nicht wirklich eine Idee, wie sie da jetzt noch raus kommen wollte. Ich hatte selber schon mehrere Verfolgungsjagten aus einem Helikopter miterleben dürfen. Unsere Chance tendierte gegen Null. Ihr Sportwagen nutzte ihr nur wenig, denn der Helikopter war genauso schnell und wendig. Es gab kein Entrinnen, wenn einen der Lichtkegel erst mal erfasst hatte.

Wir waren geliefert...Jetzt war es endgültig amtlich. Beschlossen und verkündet. Aus und vorbei. Finito…

Herr..., aber wie bitte soll ich meinen Aufgabe hier erfüllen, wenn du mir solche Steine in den Weg legst? Ich weiß, ich werde mit dieser Aufgabe wachsen, aber ich befürchte nun, ich könnte dabei versagen...

„Chris, bin da, wo steckt ihr?“, unterbrach Bella die Stille im Fahrzeug. „Die haben tatsächlich noch den Heli geholt“, ungläubig schüttelte die den Kopf.

„Genau hinter dir…“, kam die Antwort prompt und schlagartig war die Luft von Motorengeräuschen erfüllt. Um uns herum waren ungefähr ein dutzend schwarze Motorräder mit Fahrern in schwarzer Kleidung darauf, wie aus dem Nichts heraus, aufgetaucht. Einer fuhr direkt neben unsere Fahrertür,, sah in unsere Richtung und salutierte frech.

„Sag mal, hast du zugenommen?“, kicherte Bella und erntete daraufhin ein Grummeln und einen Stinkefinger. „Aber die Maschine ist neu, oder? Das ist doch ne Turbo, hab ich Recht? Hast du etwa Angst, dass ich dich abhängen könnte?“

„Als ob du vor mir abhauen würdest...“, schnurrte der Typ fast und in meinem Magen bildet sich wieder ein Knoten. Lag sicher am Alkohol. Ich hoffte bloß, ich müsste mich nicht übergeben, denn das würde Bella sicher nicht sehr witzig finden, so wie sie ihr Auto zu lieben schien.

Sie lachte auf und fragte dann aber wieder ernster: „Vorgehensweise wie immer, Süßer?“

„Yepp, genau wie immer. Sicherlich wird der Heli an dir dran bleiben, deshalb werde ich dich nicht aus den Augen lassen. Die anderen können sich in der Zwischenzeit mit den restlichen Cops amüsieren. Und du musst dir was wegen dem Heli überlegen.“

Bella nickte zustimmend in die Richtung des Typen, ließ dann das Fenster ein Stück herunter, so dass kalte Nachtluft hereinströmte und hielt ihre Faust hinaus. Der Typ stieß seine behandschuhte dagegen und machte dann einen Schlenker nach links. Bella schloss das Fenster sofort wieder, hielt mit der linken Hand das Lenkrad fest, während sie sich nach hinten zu den dahin schaukelnden Jungs umdrehte. „Alles klar, bei euch dahinten? Kann‘s losgehen?“

LOSGEHEN? Hatte ich mich jetzt verhört??? Wir steckten doch schon eine ganze Weile ziemlich tief drin, also was bitte sollte jetzt noch schlimmer kommen? Ich hatte doch wirklich angenommen, wir hätten bereits das Schlimmste überstanden. Obwohl, wenn ich an den Helikopter über uns dachte, wurde mir schlagartig noch schlechter. Wenn das überhaupt möglich war.

Aber von Jake kam ein kurzes, zustimmendes „Yepp“, Jasper schnarchte immer noch leise, jetzt an seiner Schulter, und Emmett antwortete „Aber immer, habe ich eigentlich schon mal erwähnt, dass ich dich liebe? Wenn Rosi nicht wäre, würde ich dich glatt weg heiraten, also wenn das ginge... kurz gesagt... hab‘ ich jetzt vergessen, was ich sagen wollte...egal. Ich liebe dich“, was sie mit einem Kopfschütteln quittierte.

„Na, dann wollen wir mal…“, sagte sie und im nächsten Moment schossen auch schon die Motorräder an uns vorbei und auf die Polizeiwagen, die auf der Kreuzung standen, zu. Die Officer sprangen natürlich sofort in ihre Wagen und nahmen die Verfolgung der Bikes auf, welche, taktisch gut, in alle Richtungen gleichzeitig abbogen. Das machte dann auch den Weg für uns und unsere Begleitung frei. Sehr gut geplant. Ich konnte nur anerkennend nicken.

Und so wie es aussah, waren alle diese Typen hier bei der hiesigen Polizei fast genauso bekannt und gefragt wie wir. Ich schien wirklich mitten in einem Wespennest zu stecken. Mittendrin statt nur dabei, war hier wohl die Devise. Nur wusste ich nicht wirklich, ob ich mich darüber freuen oder eher unglücklich sein sollte, denn im Moment konnte ich das eigentlich nicht wirklich gebrauchen. Und Bella war offensichtlich doch keine kleine Nummer im Geschäft. Die Art, wie sie Auto fuhr, deutete arg darauf hin, dass sie das öfter tat. Und nicht als braver Verkehrsteilnehmer, sondern dicht am Limit, oder meist auch darüber. Sie hatte den Wagen auch in Extremsituation immer unter Kontrolle und das lernte man nicht bei einem normalen Fahrlehrer. Da steckte definitiv ein Profi dahinter. Nur wer? Der Typ in der schwarzen Lederkombi?

Bella drehte sich rasch wieder nach vorne, ließ den Kopf kurz kreisen, ehe sie Vollgas gab. Und diesmal wirklich Vollgas. Durch die Beschleunigung wurde ich regelrecht in den Sitz gedrückt. Innerhalb von ein paar Minuten waren wir auf einer breiten Straße, aber das Geräusch der Rotorenblätter blieb weiterhin dicht hinter uns.

Als die Gebäude neben uns immer kleiner wurden und die Hochhäuser kleinen Geschäftshäusern und Eigenheimen wichen, schaltete der Pilot des Helikopters seinen Suchscheinwerfer ein und tauchte uns in einen gleißenden Lichtkegel. Wir waren regelrecht blind. Während ich versuchte, meine Augen notdürftig mit meine Armen etwas zu schützen, nahm Bella eine der Sonnenbrillen, die auf dem Rückspiegel hingen, setzte sie auf und hielt mir wortlos die zweite hin. Dankbar setzte ich die Brille auf und sah auf die Straße, die ich jetzt wieder erkennen konnte. Sie schoss unter uns mit wahnwitziger Geschwindigkeit dahin, der Helikopter uns aber hartnäckig weiter auf den Fersen.

Bella folgte eine Weile lang, einfach der Straße und steigerte dabei stetig das Tempo. Die Tachonadel hatte die 250 km/h schon vor einer ganzen Weile überschritten. Aber der Wagen war für solche Geschwindigkeiten ausgelegt und lag wie ein Brett auf dem trockenen Asphalt. Also kein Grund, sich Sorgen zu machen.

Wir passierten mehrere Kreuzungspunkte, aber fuhren weiter unentwegt geradeaus. Der Typ mit dem Motorrad blieb uns die ganze Zeit dicht auf den Fersen, allerdings bewusst außerhalb des Lichtkegels. Ob die ihn da oben eigentlich schon gesehen hatten? Ein einzelnes, dunkles Motorrad mit einem dunkel gekleideten Fahrer, war bestimmt schwer bis gar nicht zu erkennen, vor allem, da er ohne Licht fuhr und sich, wegen der hohen Geschwindigkeit, dicht auf seinen Tank legte.

„Der nächste Kreuzungspunkt sieht gut aus“, murmelte Bella plötzlich und ein zustimmendes Murren kam aus den Boxen. „Ich warte hier auf dich“, entgegnete der Typ und ich sah im Seitenspiegel, wie er sich zurückfallen ließ. Die Dunkelheit hatte ihn sofort verschluckt.

Ich hatte keine Ahnung, was sie jetzt planten. Wie sie den Helikopter tatsächlich meinten, abhängen zu können. In meiner mehrjährigen Berufserfahrung hatte ich noch nie erlebt, dass so etwas jemandem gelungen war, auch wenn er noch so gut fuhr. Auch in den Gesprächen, die ich mit Piloten geführt hatte, war so etwas nie erwähnt worden. Und so etwas wäre todsicher Gesprächsthema Nummer eins gewesen.

Allerdings war Bella immer noch die Ruhe selbst, also MUSSTE sie einen Plan haben.

Wir fuhren etwa noch einen Kilometer, ehe Bella plötzlich „Festhalten“ rief, eine Vollbremsung ausführte und mit Hilfe der Handbremse um hundertachtzig Grad wendete. Gleichzeitig machte sie die Scheinwerfer des Wagens aus, riss sich mit der gleichen Bewegung die Sonnenbrille herunter und gab wieder Vollgas. In Sekundenschnelle waren wir aus dem Lichtkegel des Helis raus und in die Dunkelheit abgetaucht.

Schnell schob auch ich mir die Sonnenbrille in die Haare. Ich brauchte einige Sekunden, ehe sich meine Augen wieder an die Dunkelheit gewöhnten.

„Und du glaubst, DAS klappt?“, fragte ich leise in Bellas Richtung. Ich ahnte wage, was sie vorhatte.

„Unsere einzige Chance“, murmelte sie. „Der riesige Heli ist zu träge, um bei der Geschwindigkeit so abrupt zu wenden. Er muss also einen Kreis fliegen. Und dann muss er uns erst mal wiederfinden. So lange er dann kein Licht von uns sieht, wird es ihm nicht so schnell gelingen. Wenn wir unter der Brücke sind, haben wir es geschafft.“

„Aber wie willst du da bremsen?“, erwiderte ich verwirrt. Die grell, rot aufleuchteten Bremslichter würden uns doch wieder verraten. Aber ansonsten war der Plan gut durchdacht, das musste ich ihr lassen. Ich kam mir immer mehr vor, wie in einer Verfilmung von „The Fast and the Furious“.

„Wer sagt, dass ich dort bremsen will?“, kam es von ihr, und ich wandte meinen Kopf um. Im Dunkeln konnte ich nur ihre weiß schimmernden Zähne erkennen. Sie grinste wahrscheinlich wieder über das ganze Gesicht. Typisch.

Aber nicht bremsen? Wollte sie mich jetzt auf den Arm nehmen? Wie wollte sie denn dann anhalten? Ausrollen vielleicht? Anker werfen? Füße aus der Tür halten? Ich wurde langsam auch schon etwas albern, aber das sorglose Klima um mich herum, gepaart mit dem Alkohol, wurde hier irgendwie gerade ansteckend.

Also blickte ich vorsichtig in den Seitenspiegel und sah mit Schrecken, dass der Helikopter bereits wieder auf uns zu steuerte. Zwar war er noch ein gutes Stück entfernt, aber leider auf dem richtigen Kurs.

„Jetzt wird es ein wenig rau“, rief Bella plötzlich, ging vom Gas, schaltete runter, so dass der Motor abtourte und sich der Wagen dadurch etwas verlangsamte und riss dann die Handbremse hoch und schlug das Lenkrad hart ein.

Aber aufgrund unserer immer noch sehr hohen Geschwindigkeit, drehten wir uns zweimal um uns selber, ehe wir, mit Blickrichtung zum Helikopter, stehen blieben. Wobei stehen übertrieben war, denn ehe ich mich fragen konnte, ob sie jetzt wieder auf ihn zu rasen wollte, legte sie schon den Rückwärtsgang ein.

Obwohl sie ordentlich Gas gab, kam der Lichtkegel des Scheinwerfers unerbittlich immer näher. Bald hätte er uns wieder erfasst und die Jagd würde wieder weiter gehen. Und das wohl über Stunden. Ich kam mir vor, wie ein Harken schlagendes Kaninchen, dass aber gegen die Übermacht der Jäger nicht die geringste Chance hatte.

Aber ich musste doch etwas tun! Ich konnte hier doch nicht so einfach untätig rumsitzen. Also tat ich das Einzige, was ich in einer solchen Situation tun konnte. Denn ich kannte nur EINEN, der in der Lage war, diese vertrackte Sache noch zum Guten zu wenden. Obwohl ER wohl nicht gerade darüber erbaut wäre, kleinkriminelle Aktivitäten zu unterstützen, aber bekanntlich waren Gottes Wege ja unergründlich…und ich unerschütterlich gläubig. Also schloss ich die Augen und betete.

Hilf, Herr Jesus, hilf! Erbarme dich unserer Dunkelheit, unserer Schwäche, unserer Verwirrung, erbarme dich unser Treulosigkeit...

Einige bange Sekunden vergingen, ehe ich sie wieder öffnete. Über uns konnte ich endlich die Unterseite der Brücke erkennen und Bella legte eine scharfe Vollbremsung ein. Kaum standen wir, donnerte der Helikopter auch schon über die Brücke hinweg, ohne uns darunter zu sehen. Wir hatten uns erfolgreich versteckt.

Erleichtert seufzte ich auf und ließ meinen Kopf gegen die Kopfstütze sinken.

Danke, Herr…

„Sind wir jetzt in Sicherheit?“, fragte Emmett leise von hinten und Bella brummte zustimmend. „Gut. Können wir dann jetzt ENDLICH nach Hause fahren? Ich muss mal pinkeln.“

Ja, dachte ich, Gottes Wege waren WIRKLICH manchmal unergründlich…

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