67 please, please
„Das kann nicht dein Ernst sein“ rief ich völlig entsetzt aus, „Du... du kannst doch da nicht runtergehen. Das geht einfach nicht, du könntest getötet werden!“
In meinem Kopf überschlugen sich schon wieder die Gedanken. Sah ich förmlich, wie sie in einem Kugelhagel zu Boden ging und dann blutüberströmt liegen blieb.
Bella zog eine Augenbraue hoch, ehe sie leise seufzte und dann antwortete.
„Glaub mir, Edward, in Bezug auf das getötet werden, ist es scheißegal, ob ich nun hier oben oder da unten bin. Die Jungs da draußen kommen sicher nicht zum Kaffeekränzchen her und wenn ich nicht bald runter zu ihnen komme, kommen sie irgendwann hier rauf. Und das ich auf gar keinen Fall das Risiko eingehe, dass einer dieser Idioten auch nur einen Schritt in die Nähe von dir, Jazzi und Sally setzt, ist doch wohl selbstverständlich, oder?“
Ihre dunklen Augen sahen mich durchdringend an und ich konnte nichts tun oder sagen, nur mich kurz räuspern.
„Mein Platz ist da unten“, sie legte ihre linke Hand sanft an meine Wange, „Das da ist MEIN Leben, dafür wurde ich ausgebildet, dafür habe ich all die Jahre gekämpft, um das jetzt ein für alle Mal zu beenden.“
Mit zusammengepressten Lippen blickte ich sie an. Das schien wirklich ihr Ernst zu sein. Sie wollte da runter gehen. Allein. Na gut, sicher mit Jake. Und so, wie es aussah war sie fest entschlossen. Das hatte ich kapiert. Aber eine Sache bereitete mir dabei ziemliche Kopfschmerzen.
„Du willst, dass ich hier oben bleibe“, stellte ich fest und Bella nickte kurz.
„Es ist um einiges sicherer für dich hier oben. Die Typen da unten wollen mich, oder besser gesagt meinen Kopf, den sie aber nicht kampflos bekommen werden. Aber selbst, wenn etwas schief gehen sollte, hättest du hier oben immer noch die Möglichkeit mit Sally, Jazzi und Ahab im Heli zu fliehen.“
„Und was ist hiermit?“, fragte ich aufgebracht und hielt ihr mein linkes Handgelenk mit unserem Tattoo unter die Nase. „Ich hab das nicht nur so da drauf. Da steht bis in den Tod. Und das zusammen. Hat das denn für dich überhaupt keine Bedeutung mehr?“
„Natürlich hat es das!“, ihre Augen verengten sich kurz ärgerlich, ehe sie sofort wieder weich wurden, „Ich liebe dich, Edward. Mehr als mein Leben. Deshalb kann und werde ich nicht zulassen, dass dir etwas zustößt. Jenny braucht wenigstens ihren Vater“, sie seufzte kurz, „es tut mir leid...“
Etwas Kaltes legte sich um mein linkes Handgelenk und ich hörte ein leises, metallisches Klicken, das mir bekannt vorkam.
Bella küsste mich kurz, ehe sie hastig aufstand und sich dann schnell entfernte. Innerhalb von ein paar Sekunden war sie, in Begleitung von Jake, durch die Tür in das Treppenhaus verschwunden. Sie hatte sich nicht einmal mehr zu mir umgesehen.
Völlig überrumpelt starrte ich einfach hinter ihr her. Ich wusste nicht wirklich, was ich jetzt denken sollte. Sie hatte mich hier gelassen. Einfach so. Und dazu auch noch an Jasper gefesselt, den ich nicht gerade mal eben hinter mir her ziehen konnte. Zumal er ja auch verletzt war.
„Edward?“, fragte mich dieser nach einem kurzen Moment des Schweigens und ich sah ihn etwas erschrocken an.
„Hey, ruhig Brauner“, er hob beschwichtigend seine Hand, die nicht an meiner hing, „Alles easy. Ich wollte dich nur fragen, ob du an meinen Stiefel rankommst“, er wackelte auffordernd mit seinem unverletzten Bein.
„An deinen Stiefel? Warum das?“, hakte ich verblüfft nach. Was in aller Welt wollte er denn an seinem Stiefel?
„Na weil hinten am Schaft eine Haarklammer befestigt ist. Für Notfälle. Und die brauche ich jetzt mal. Kommst du also da dran oder nicht?“, fragte er belustigt.
„Was bitte willst du denn jetzt mit einer Haarklammer? Dir eine Strähne aus dem Gesicht halten?“, fragte ich mürrisch, während ich mich vorbeugte und seine Jeans etwas hochzog, so dass ich an den Schaft seines Cowboystiefels kam. Tatsächlich steckte dort eine kleine, schwarze Haarklammer, die ich herauszog und ihm neugierig hinhielt.
„Man Alter, ich will die Handschellen aufmachen, was sonst“, entgegnete er grinsend und nahm sie mir mit einer flinken Bewegung ab.
„Das geht wirklich?“, fragte ich ungläubig.
„Das geht wirklich“, antwortete er und begann augenblicklich, damit am Schloss herumzufummeln. Und tatsächlich. Nach einem kurzen Augenblick machte es 'klick' und die Handschellen sprangen auf.
„Cool“, bemerkte ich schwer beeindruckt und rieb mir abwesend das Handgelenk. „Ich dachte immer, dass funktioniert nur in Filmen.“
„Nope. Und nun mach dich gefälligst auf die Socken“, fügte er noch an, „Aber pass auf deinen Arsch auf. Ich verliere sonst mindestens meinen Skalp…“
Ich nickte freudig und begab mich, in gebückter Haltung, in Richtung der Treppe. Um mich herum tobte immer noch das Chaos, aber ich versuchte es weitestgehend zu ignorieren und sah als Ziel einfach nur die rostrot gestrichene Tür vor mir.
Gerade als ich diese besagte Tür öffnen wollte, packte mich jemand am Nacken und hielt mich eisern fest.
Verdammt…an den hatte ich ja gar nicht mehr gedacht.
„Was denkst du wohl, wo du da gerade hin willst?“, knurrte Ahab und ich seufzte tief.
„Hinter Bella her“, antwortete ich so leise, dass es fast im Donner einer erneuten Detonation unterging, aber er verstand mich trotzdem.
„Ich glaube aber nicht, dass sie das möchte“, kam es ebenso leise wie entschlossen zurück. „Du bist hier oben definitiv sicherer als da unten“, fügte er vollkommen ruhig an, so als würde er über das Wetter reden. Wie konnte ein Mensch nur so dermaßen ruhig sein? Regte den denn gar nichts auf?
Frustriert stütze ich meine Hände an der Tür ab, während er mich weiterhin festhielt. „Ich muss aber zu ihr“, versuchte ich es erneut.
„Keine gute Idee“, entgegnete Ahab kurz angebunden und ich seufzte tief. Warum musste er bloß so verdammt aufmerksam sein? Hatte er denn nicht genug Bösewichte zur Verfügung, denen er dringend die Rübe wegpusten konnte? Musste er stattdessen mir auf die Nerven gehen?
„Bitte“, flehte ich ihn an, auch wenn ich mir auch davon wenig Erfolgschancen ausrechnete, „Lass mich zu ihr gehen. Ich werde sonst ganz verrückt hier oben, wenn ich nicht weiß, ob es ihr gut geht. Ich habe einfach Angst um Bella, verstehst du das denn nicht?“
Sein Griff lockerte sich etwas und ich begann mich zu entspannen. Anscheinend hatte ich ihn doch damit überzeugen können. Hätte aber nicht gedacht, dass das so einfach werden würde.
Allerdings hatte ich mich doch ein wenig getäuscht, denn ehe ich mich versah, hatte er mich ein Stück nach hinten gezogen und stand nun selber breitbeinig und mit verschränkten Armen vor der Tür.
Na toll! Da würde ich ja nie vorbei kommen.
„Hättest du eigentlich Angst um mich, wenn ich da runter gehen würde?“, fragte er süffisant und zog eine Augenbraue hoch.
„Um dich?“, ich sah ihn erstaunt an, „Natürlich nicht. Ich meine, du kannst da auf dich selber aufpassen, machst ja nichts anderes. Und du bist schnell und überhaupt...“, ich schüttelte den Kopf. „Um dich muss man sich bei so etwas keine Sorgen machen.“
„Und warum bitte hast du dann Angst, dass dem bestausgebildetsten weiblichen Killer auf diesem Kontinent etwas passiert? Das ist völlig absurd, Edward. Das da unten ist genau das, wofür sie trainiert wurde. Über Jahre hinweg. Es ist ihr in Fleisch und Blut übergegangen und damit ganz natürlich für sie. Ich will damit nicht sagen, dass nichts passieren kann, denn niemand ist unfehlbar, aber da unten gibt es keinen, der ihr das Wasser reichen könnte. Und für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie doch getötet werden sollte, war es dann eben ihr Schicksal. Das kann man nicht ändern und auch nicht verhindern, sie hat sich schließlich diesen Weg ausgesucht. Und sie ist ein Profi, sie kennt das Risiko. Deshalb will sie dich ja nicht dabei haben, denn du bist ein unkalkulierbares Risiko. Sie kann nicht hundertprozentig effektiv sein, wenn sie sich um dich kümmern muss. Um dich Angst haben muss. Die da unten würden keine Sekunde zögern dich zu töten, denn sie wissen genau, dass sie dann möglicherweise den Kopf verlieren würde. Es ist also besser für dich und für Isabella, wenn du hier bleibst. Sieh das doch ein…“
Eine Sekunde lang starrte ich ihn einfach nur mit offenen Mund an, ehe ich reagierte. Zum einem waren es seine Worte, denn er hatte natürlich vollkommen Recht. Zum anderen hatte ich ihn noch nie so viel auf einmal reden hören.
„Aber sie ist auch meine Frau. Ich liebe sie. Und ich will verdammt noch mal nicht von weitem zusehen müssen. Ich will bei ihr sein. In guten wie in schlechten Zeiten. Gerade sind es die ganz schlechten, aber auch da will ich für sie da sein“, argumentierte ich trotzdem weiter. Dabei wusste ich ja ganz genau, dass Bella und er Recht hatten. Aber ich brauchte sie. Ich MUSSTE wisse, dass es ihr gut ging.
„Du bleibst aber trotzdem ein Risiko. Und ich bin immer noch dazu da, um auf dich aufzupassen. Also bleibst du hier“, er blickte mich stur an.
„Ahab“, seufzte ich, „kannst du mich denn gar nicht verstehen? Es macht mich einfach wahnsinnig hier oben zu sein. Nicht zu wissen, was da unten passiert. Sie könnte in der Zwischenzeit getötet werden und ich wäre nicht in ihrem letzten Augenblick bei ihr. Und das würde mich töten. Innerlich und für immer.“
Er sah mich einfach nur weiter an und sagte nichts. Zuckte nicht einmal mit der Wimper.
„Nehmen wir doch mal Lucie“, versuchte ich eine neue Taktik und er runzelte die Stirn, „Ihr zwei... also... sie ist ja jetzt vielleicht so etwas wie eine ….Freundin... vielleicht magst du... also ich meine, du würdest sicher nicht wollen, dass ihr etwas passiert, oder?“, stammelte ich hilflos drauflos.
„Es war mein Auftrag dafür zu sorgen, dass ihr nichts passiert“, antwortete er ausweichend und ich wollte meinen Kopf am liebsten gegen die Wand hauen. War der Typ etwa ebenfalls aus Beton?
„Okay, es war dein Auftrag“, seufzte ich, „Aber Fakt ist, wenn sie jetzt da unten wäre, würdest du nicht hier oben stehen. Da bin ich mir ganz sicher.“
„Das ist irrelevant, denn sie würde niemals da unten sein. Ist viel zu gefährlich für einen einfachen Zivilisten. Außerdem sind das da unten zum Großteil Söldner und sie ist eine Frau. In der Nähe von solchen Typen hat sie überhaupt nichts verloren...“
„Ach“, unterbrach ich ihn. „Und was ist bitte mit Bella? Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, war sie auch noch eine Frau. Und das wird sich in den letzten Minuten nicht geändert haben“, ich verschränkte die Arme und unterdrückte das verlangen ihm die Zunge rauszustrecken.
Ahab verdrehte die Augen. „Isabella ist eine Ausnahme. Genauso wie Sally. Wobei sie sich wegen ihre Schwangerschaft etwas zurücknehmen und von uns geschützt werden muss. Deshalb bleibt sie auch hier oben, wie du vielleicht bemerkt haben wirst“, seine Miene blieb weiterhin unbewegt.
Frustriert fuhr ich mir durch die Haare. Das führte hier zu nichts und auf die Schnelle fiel mir auch nicht wirklich noch etwas Passendes ein, um ihn zu überzeugen.
Wieso musste er auch jetzt noch auf mich aufpassen. Er hatte doch sicherlich genug anderes zu tun.
„Musst du nicht gerade irgendwen da unten erschießen? Unseren Jungs beistehen, Rückendeckung geben oder so?“, fragte ich schließlich, in der Hoffnung, dass ihn das eventuell von der Tür weglocken könnte.
„Negativ“, er schüttelte den Kopf, „Im Moment kann ich nicht viel tun. Sally hat die Sache gut im Griff und diejenigen, die noch am Leben sind, steuern alle auf einen Punkt zu. Und den hat sie im Blick. Wenn sie wirklich Hilfe braucht, wird sie mich rufen.“
Verdammt, hatte sich denn die ganze Welt gegen mich verschworen?
Gab es nicht irgendein Mittel, um ihn von dieser blöden Tür wegzubekommen? Eigentlich konnte er ja auch gut mit runter kommen, wäre vermutlich nicht das Schlechteste. Er MUSSTE sogar mit runter kommen, denn wenn ich die Sache mal etwas genauer betrachtete, war es für mich da unten wirklich nicht gerade ungefährlich. Da wäre er lebenswichtig für mich.
Wie war ich nur auf diese blöde Idee gekommen, da alleine runter zu wollen?
Bella hatte mir doch immer wieder eingebläut, dass Sicherheit oberste Priorität hatte, dass man sich immer und zu jeder Zeit der Schlagkraft seiner Gegner bewusst sein sollte. Man durfte einen Gegner niemals unterschätzen und seine eigenen Fähigkeiten genauesten kennen, und wissen, wann es besser war, sich zurückzuziehen. Denn eine Überschätzung des eigenen Könnens konnte ruck zuck tödlich enden.
Genervt wischte ich mit über mein Gesicht.
Fakt war, ich wollte zu meiner Frau. Unbedingt!
Fakt war aber auch, dass ich nicht alleine gehen konnte, sonst war ich tot!
Ich brauchte also dringend jemanden, der auf meinen Arsch aufpasste, so wie Jasper es so schön ausgedrückt hatte. Und an sich war niemand besser dafür geeignet, als derjenige, der mir gerade so effektiv den Weg versperrte und sich gerade seelenruhig einen Lolli in den Mund steckte. Aber wie sollte ich ihn davon überzeugen, dass er mich da hinunter begleiten musste?
Mehr Geld bieten?
Nope.... höchstens Kekse... aber ich hatte keine hier...
Erpressen…?
Nope.... das Einzige, was ihn eventuell aus der Reserve locken könnte, wäre eine Entführung von Hannibal, aber dann wäre ich vermutlich auch so gut wie tot.... außerdem war der Kater ja nicht hier...
Bedrohen…?
Auf gar keinen Fall....
Das Einzige war vielleicht....
„Sag mal, verpasst du nicht eigentlich den ganzen Spaß, wenn du hier oben bist und auf mich aufpasst?“, fragte ich vorsichtig. Ich musste es einfach versuchen.
Ahab nahm langsam den Lolli aus dem Mund und sah mich eindringlich an.
„Ich meine ja bloß. Hier oben scheint ja nicht mehr viel los zu sein. Der richtige Kampf findet ja jetzt da unten statt, Mann gegen Mann und so. Und Sally kommt ja, so wie es aussieht, auch alleine klar und obendrein sieht sie davon mehr als wir. Nur du stehst hier noch doof rum...“
„Ist das ein Versuch, mich dazu zu bringen, mit dir da runter zu gehen?“, entgegnete er grinsend und ich brach fast zusammen. Wieder nicht geklappt....
Frustriert nickend murmelte ich „so was in der Art“ und ließ bekümmert den Kopf hängen.
Der aber augenblicklich wieder hochschnellte, als ich das Quietschen der Scharniere vernahm.
Was zum Teufel?
Erstaunt sah ich, dass Ahab die Tür bereits geöffnet, seine Waffe aus dem Holster gezogen und entsichert hatte, und mich breit angrinste.
„Wir sagen einfach, du wärst mir ausgebüxt, okay?“
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