Mittwoch, 16. November 2011

SML - 64 - the beginning of the end

64 – the beginning of the end

Nach etwas mehr als einer Woche, kamen Lucie und die Jungs endlich heil aus Kanada zurück. Sally hatte in dieser Zeit, jeden Abend mit ihrer Schwester telefoniert. Allerdings auf Französisch, so dass ich wiedermal kein Wort verstanden hatte und so nicht wusste, was dort genau passiert war.

Allerdings ahnte ich, dass es nicht immer so glatt gelaufen sein musste, wie vorher gedacht. Das Gesicht von Sally war bei den Telefonaten wie ein offenes Buch für mich. Und auch wenn ich die Worte nicht genau verstand, ihre Emotionen waren dort deutlich ablesbar. Ich vermutete sehr stark, dass sie extra mit Lucie in ihrer Muttersprache telefonierte, damit Jake auch nicht viel verstand. Denn der tigerte dabei hin und her, wie auf heißen Kohlen, und beobachtete sie argwöhnisch.

Manchmal hatte ich fast den Eindruck, dass sie sich eigentlich sehr bemühte, nicht jede Emotion zu zeigen, aber sie hatte halt – wenn es um ihre Schwester ging – kein Pokerface.

Oft drückte ihr Gesicht, ohne Zweifel, sogar Wut oder Entsetzen aus. Und ihr Tonfall passte auch dazu. Wobei es nie so klang, als würde sie mit Lucie schimpfen. Für mich klang es eher so, als wäre sie ernsthaft besorgt.

Aber ich wollte Sally auch nicht danach fragen, obwohl es mich schon irgendwie interessierte. Dabei machte ich mir schon ein paar Gedanken. Vor allem, weil ich mir so langsam doch über das ganze Ausmaß dessen hier bewusst wurde. Wir würden wirklich jede Hilfe benötigen, die wir bekommen konnten. Personell, als auch materiell.

Jake versuchte oftmals, Sally immer irgendeine Information nach den Gesprächen zu entlocken, aber selbst bei ihm, hielt sie sich sehr bedeckt, was ihn wiederum ziemlich frustrierte. Er murmelte dann immer, dass es wohl besser gewesen wäre, wenn er mitgefahren wäre und trollte sich dann.

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Wir saßen gerade noch gemeinsam am Frühstückstisch, als von draußen Motorengeräusche und danach zuschlagende Autotüren zu hören waren.

Leider hatte ich den Eingangsbereich im Rücken, so dass ich erst einmal gar nichts sah. Das einzige, was mir auffiel, war Cookie, die ihren Kopf freudestrahlend aus der Küchentür steckte, nur um dann sofort knallrot anzulaufen, sich ruckartig zurückzuziehen und dann die Tür lautstark hinter sich zu schließen. Anschließend war noch ein lautes Geräusch zu hören, so, als ob irgendetwas Großes zerbrach.

Verwirrt sah ich zu den anderen, die allesamt mit verdattertem Gesichtsausdruck in Richtung Eingangstür sahen. Neugierig drehte ich mich ebenfalls herum und fiel fast vom Stuhl.

Denn ein Stück hinter mir standen Ahab und Lucie.

Grinsend.

Und auf den ersten Blick unverletzt.

Gut, Ahab sah ein wenig mitgenommen aus, so als hätte er kaum geschlafen in den letzten Nächten. Und wenn ich mich nicht täuschte, hatte er auch noch ein paar blasse, blaue Flecken.

Lucie sah einfach aus wie immer.

Nur eines passte ganz und gar nicht.

Die zwei hielten Händchen.

Ich traute meine Augen kaum und starrte die zwei genauso erstaunt an, wie alle anderen am Tisch.

„Wir sind wieder da“, rief Lucie überflüssigerweise und winkte fröhlich mit ihrer freien Hand, während Jake zeitgleich begann, leise zu knurren. Sally legte ihm sofort beschwichtigend die Hand auf den Arm, was ihn wohl als einziges davon abhielt, sich sofort auf Ahab zu stürzen.

Eine Sekunde lang herrschte komplette Stille, ehe Lucie ihre Hand von Ahabs löste und laut anfing zu lachen.

„REINGEFALLEN!!! Wenn ihr euch jetzt sehen könntet, ehrlich“, sie stieß Ahab mit dem Ellenbogen an, der seufzend die Augen verdrehte. „Siehste Großer …hab ich dir doch eben gesagt, das schockt alle total, wenn wir so reinkommen. Du schuldest mir ein halbes Dutzend Lollis...“

„Chouchou“, kam es energisch von Sally, „konns’t du mi’r bit’te er’klär’en, was das Ganz’e soll’te? Da ist doc‘h nich’st zwi’schen eu’ch, od’er?“

„Nope“, kam es fröhlich von Lucie und sie ließ sich auf den freien Stuhl neben ihrer Schwester sinken, umarmte sie kurz und gab ihr dabei unbekümmert einen Kuss auf die Wange. „Ich hab vielleicht Hunger, ich sag euch, mit Ahab unterwegs zu sein macht schlank, der futtert alles, was nicht Niet- und nagelfest ist. Da muss man echt kämpfen, dass man noch was abbekommt.“

Während sie, wie immer ohne Punkt und Komma, redete, nahm sie sich einfach den Teller von Sally und begann, zwei Toastscheiben dick mit Butter und Nutella zu beschmieren.

„Stimmt doch gar nicht“, erwiderte Ahab sofort, setzte sich ihr gegenüber und nahm sich wie selbstverständlich eine der fertigen Toastscheiben.

Lucie verdrehte die Augen und biss genussvoll von der anderen Scheibe ab. „Tuscht du wohl“, murmelte sie kauend und er steckte ihr die Zunge raus.

Was war das denn?

Ich war total verdattert von der Szene, die sich da vor meinen Augen abspielte.

Wer zur Hölle war das und was hatte er mit dem echten Ahab angestellt?

Er benahm sich ja komplett anders als sonst. Denn er sprach. Hier. Mit Lucie. Freiwillig. Und lächelte sogar dabei. Also ein bisschen. Kaum merklich eigentlich.

Hatte die Woche mit Lucie ihm etwa geschadet? Ich dachte da an so was wie Gehirnwäsche. Was war nur aus dem recht wortkargen und einzelgängerischen Typen geworden? Die zwei hatten sich doch nicht etwa tatsächlich angefreundet? Oder sogar mehr?

Verwirrt sah ich zwischen den beiden hin und her, aber im Moment waren sie ausschließlich mit Essen beschäftigt. Also Ahab hatte seine Toastscheibe natürlich schon komplett verdrückt und aß nun einen Apfel, während Lucie, ihre Toastscheibe im Mund, dabei war, zwei weitere zu schmieren.

Keiner am Tisch sagte ein Wort, alle sahen ziemlich verwirrt aus. Außer Jake, der sah eher so aus, als ob er gleich platzen würde. Mindestens. Und sowohl Sallys, als auch Bellas vorsichtiger Blick lagen auf ihm. Beide wollten wohl im Falle eines Falles, schneller sein, als er.

„Öhm, läuft da was zwischen euch?“, fragte mein Bruder ziemlich unverblümt in die Stillte hinein und ich liebte ihn in diesem Moment heiß und innig, denn ich hätte mich nicht getraut, das jetzt zu fragen. Obwohl es mich natürlich brennend interessierte. Aber so was konnte nur Emmett.

„Nein“, kam es aber sofort unisono von den beiden.

„Nein?“, kam es zweifelnd von Emmett.

„Nee“, antwortete Lucie und schob Ahab wieder eine fertige Scheibe rüber, „Aber wenn dir gemeinsam mit jemandem die Kugeln um die Ohren fliegen, schweißt das irgendwie zusammen. Ob man will oder nicht“,sie grinste Ahab frech an und der schnaubte hörbar.

„Kugeln um die Ohren fliegen? Du solltest doch auf sie aufpassen…“, brüllte Jake sofort los und erntete einen bösen Blick von Sally, den er gekonnt ignorierte. „Ich sag‘s doch schon die ganze Zeit. Es wäre wirklich besser gewesen, wenn ich mitgefahren wäre...“

„Komm wieder runter, Jake. Ist doch nichts passiert“, entgegnete Lucie schnell, „Ich hab davon doch keinerlei Schäden zurück behalten.“

„Ja, davon nicht“, brummte Ahab sichtlich frustriert und nahm sich einen weiteren Apfel.

Das hätte er aber wohl besser nicht gesagt.

„Luisa Christin“, kam es sofort ungewohnt streng von Sally. Lucie zuckte sichtlich zusammen und hielt beim Schmieren der nächsten Scheibe inne. Langsam drehte sie sich zu ihrer aufgebrachten Schwester um und fragte zaghaft. „Ja?“

„’ast du mir ir’gend’was zu er’zä’len, Fröi‘llein? Du ’ast mir ge’sagt, dass du nich’t ver’wund’et wur’dest! Und j’etzt ’ör ich das!“

„Wurde ich ja auch nicht“, schmollte Lucie, schmierte die Scheibe zu Ende, gab sie dem ewig hungrigen Ahab weiter und nahm sich eine weitere. „Also jedenfalls nicht im Kampf. Und danach hast du gefragt. Außerdem ist es ja auch was ganz harmloses. Nicht schlimm, wirklich. Ein kleiner Kratzer“, Ahab schnaubte wieder unmissverständlich und sie sah wütend zu ihm rüber, „Nichts weiter. Eigentlich kaum erwähnenswert.“

„Isch will es se’en. So’fort!“, kam es fordernd von Sally und ich hoffte inständig, dass Lucie sich jetzt nicht entblättern würde oder ähnliches.

„Okay, alles was du willst“, seufzend schob Lucie den Teller mit dem Toast zu Ahab rüber und murmelte dabei lautlos irgendwas in seine Richtung. Ich konnte zwar nicht von den Lippen ablesen, war mir aber dennoch sicher, dass es nichts Nettes gewesen war. Dann lehnte sie sich zurück und schob den Ärmel ihres Shirts hoch, so dass ihr Oberarm zu sehen war. Darauf verlief - unübersehbar - ein etwa zehn Zentimeter langer Schnitt, schräg über ihre Oberarmkugel. Der Schnitt war aber bereits genäht und das, nach meiner laienhaften Meinung, sogar sehr professionell.

„Mon dieu“, kam es von Sally und sie beugte sich vor, um sich die Wunde näher anzusehen. „Was ’ast du ge’mach’t? Das ist kei’ne Schuss’ver’letz’ung. Ein Mess'er? W‘er wa‘r es? Is‘t er t‘ot?“, fordernd blickte sie zu Ahab hinüber.

„Neee, so war das nicht“, Lucie lief leicht rötlich an. „Ich bin gestern eine Treppe herunter gefallen und dabei durch ein bereits zerbrochenes Fenster gestürzt. Der Schnitt kommt von einem Stück Glas, das noch im Rahmen steckte. Ich bin dran hängen geblieben und da hab ich mich eben geschnitten. Mehr war‘s nicht. Ich schwör‘s.“

„Du bis’t dur’ch ein Fen’ster gefal’len? Chouchou! Und du ’ast dir wir’klich nich’t me’r get’an? Wie ’och war es?“, Sally war irgendwie immer noch nicht zu beruhigen, was ich aber gut verstehen konnte.

„Nicht sehr hoch…“, murmelte Lucie ausweichend, senkte den Blick und inspizierte dabei intensiv das Muster der Tischdecke. Ihre Gesichtsfarbe war immer noch leicht gerötet. Ich fragte mich aber, ob sie dann nicht eigentlich blaue Flecken haben müsste. So ein Sturz aus dem Fenster lief doch eigentlich nie ohne irgendwas in dieser Richtung ab. Theoretisch hätte sie sich was brechen können, aber man sah ihr gar nichts an. Bis auf den Schnitt am Arm war sie augenscheinlich unverletzt, was irgendwie eigenartig war. Also lag die Vermutung nahe, dass sie immer noch nicht die ganze Geschichte erzählt hatte.

„Ich hab sie aufgefangen“, kam es nun leise von Ahab, „Also mehr oder weniger. Sie ist dabei halb auf mich drauf gefallen. Aber es hat den Sturz abgefangen“, er zuckte mit den Schultern.

Wieder herrschte so einen kurzer, peinlicher Moment der Stille, der aber Gott sei Dank von unerwarteter Seite unterbrochen wurde.

„Gut gemacht, Ahab. Und dann hast du ihre Wunde genäht, wie ich sehe“, kam es jetzt von Bella, die sich ebenfalls zu Lucie rüber beugte und fachmännisch die Naht überprüfte, „Sieht sehr gut aus. Ich hätte es nicht viel besser machen können. Hattest du denn was für eine lokale Anästhesie dabei? Sicherlich, sonst wäre das nichts geworden, was?“, ihre Finger strichen leicht über die Wunde und Lucie zuckte ein wenig zusammen. „Ich werde mir das Ganze trotzdem nachher mal genauer ansehen. Es fühlt sich noch etwas warm an, vielleicht ist trotz Desinfektion ein kleiner Entzündungsherd entstanden. Davor ist man leider nie ganz gefeit, das Octenisept tötet zwar sehr zuverlässig die meisten Keime ab, aber manche sind doch schon dagegen resistent. Wir werden nachher eine Spülung machen und dann nimmst du besser drei Tage Antibiotika, nur für den Fall der Fälle“, sie wand sich jetzt direkt an Lucie.

Ahab und Lucie nickten und es kam mir so vor, als hätte meine Frau jetzt absichtlich einen kleinen Themenwechsel angestrebt, um die Situation zu beruhigen. Was vielleicht auch besser gewesen war, denn Jake versuchte immer noch, Ahab mit seinen Blicken zu erdolchen.

„Aber eine kleine Narbe wird leider bleiben“, fügte Bella noch hinzu, aber Lucie grinste. „Ist schon okay, Narben sind cool.“

„Okay“, Bella lächelte sie an und fragte dann doch nochmal nach „Bleibt nur noch die Sache mit dem Händchen halten. Ist also nichts Ernstes, oder?“

„Das..äh“, stotterte Lucie und wurde schlagartig wieder rot, „…war nur ein Scherz. Wirklich! Ahab hat sich Vorwürfe gemacht, weil ich mich trotz seiner Vorsicht verletzt habe und ich hab ihm vorgeschlagen, wenn er mir hilft, euch zu schocken, dann ist es vergessen. Ich wollte nur die Stimmung hier etwas auflockern. War 'ne blöde Idee, ich weiß“, entschuldigend sah sie in die Runde und erntete allgemeines Schmunzeln.

„Und da hat er so einfach mitgemacht?“, Bella sah sie ungläubig an.

„Na ja…nicht ganz. Er hat mir nicht geglaubt, dass es jemand überhaupt mitbekommen oder gar glauben würde, also haben wir um Schokolade, beziehungsweise Lollis gewettet“, Lucie zuckte mit den Schultern und Bella schüttelte lachend den Kopf. „Okay, aber nichtsdestotrotz ist es schön, dass ihr zwei wieder da seid und das nicht nur wegen der Ladung da draußen. Wir haben auch noch genug zu tun.“

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Das mit dem „genug zu tun“ hatte Bella wirklich wörtlich gemeint, denn die Vorbereitungen in den nächsten Tagen übertrafen das bisherige bei weitem.

Die Lieferung aus Kanada war ein ganzer 7,5 Tonnen LKW, voll beladen mit Waffen und Munition und das ganze Zeug musste erst einmal rüber geschafft werden.

Ahab und Jake begannen am nächsten Tag sofort mit dem Verteilen der geplanten Sprengfallen. Streng getrennt natürlich, denn ich vermutete stark, dass Jake sich immer noch auf Ahab stürzen würde, wenn er ihn jetzt irgendwo alleine erwischte. Er hatte ihn jetzt noch mehr auf dem Kieker, als vorher. Aber solange sie sich aus dem Weg gingen, klappte es ganz gut mit der Zusammenarbeit und innerhalb von ein paar Tagen, hatten sie wirklich das komplette Gelände ringsherum präpariert.

Ich erfuhr von Bella, dass mehrere verschiedene Arten von Sprengfallen verwendet wurden. Es gab welche, die durch Berührung oder Erschütterung ausgelöst wurden, andere waren mit Fernzündern verkabelt.

Auf den Dächern der Bürogebäude deponierten Sally und Bella, an mehreren strategischen Stellen, geladene Gewehre. Auf meine Nachfrage hin, erklärten sie mir, dass es bei schnellen Positionswechseln viel einfacher wäre, die Waffen einfach fallen zu lassen und sich dann einen neue zu greifen. Auch würden sie sich dann oftmals das Nachladen sparen.

Auf dem Gelände wurden ringsherum ebenfalls mehrere Depots mit Waffen und Munition eingerichtet und die Baracken um die Bürogebäude mit Sprengstoff versehen, um sie im Notfall sprengen zu können. Auch den Komplex, auf dem der Heli stand, wurde vorsorglich mit Sprengstoff versehen. Die Steuerung für all das, lief auf dem Dach zusammen.

Bella hatte also wirklich nicht übertrieben, als sie meinte, sie würde so viele Gegner wie möglich mit in den Tod nehmen, sollte es so aussehen, dass sie das Ganze auch nicht überstehen würde. Innerhalb eines Wimpernschlages konnte sie, vom Dach aus, fast das ganze Gelände in die Luft gehen lassen. So jedenfalls war meine Einschätzung der angebrachten Sprengkraft. Obwohl ich das nur schätzen konnte. Aber da das alles hier, wirklich sehr professionell aufgezogen wurde und der Sprengstoff nicht einfach so in den Gebäuden verteilt wurde, sondern Bella extra tiefe Löcher in die Stahlbetonstützen bohren ließ, um ihn dann dort zu verstauen, ging ich davon aus, dass davon danach nicht viel übrig bleiben würde. Vor allem, wenn ich an die, ebenfalls mit Zündern versehenen, Benzinfässer dachte, die auf dem kompletten Gelände, auch innerhalb der Gebäude, verteilt worden waren.

Eine Woche später waren die Vorbereitungen komplett abgeschlossen.

Bella und ich verbrachten noch einen letzten, ruhigen Tag ausgiebig mit Jenny, bevor es endgültig ans Eingemachte gehen sollte. Die ganze Zeit versuchte ich dabei, das flaue Gefühl im meinem Magen zu verdrängen, aber es gelang mir nicht ganz. Immer wieder schlich sich der Gedanke ein, dass es unser letzter gemeinsamer Tag sein könnte und das machte mir ehrlich Angst. Natürlich versuchte ich, das nicht nach außen zu zeigen, aber Bella bekam es trotzdem mit.

So stand ich dann, zweieinhalb Wochen nachdem wir mit den Vorbereitungen begonnen hatten, frühmorgens, kurz nach dem Frühstück, auf dem Dach neben dem Helikopter, mit dem wir gerade rüber gekommen waren. Es war eine ungewöhnlich kalte Nacht gewesen, so dass die Umgebung immer noch im trüben Nebel verschwand. Dadurch wirkte alles noch viel unheimlicher und man meinte, dass nichts Gutes in der Luft liegen würde.

In ein paar Stunden würde es also losgehen. Der finale Tag war leider dann doch gekommen. Morgen würden wir dann entweder den Sieg feiern oder unsere Toten beweinen. Dazwischen würde es sicherlich nicht viel geben.

Der Abschied von denen, die zurück und in Sicherheit bleiben mussten, war im Allgemeinen recht schweigsam ausgefallen. Alle wurden noch einmal fest umarmt, aber es lag irgendwie ein ungutes Gefühl in der Luft. Selbst Ahab konnte sich diesmal dem nicht komplett entziehen und ließ sich wenigstens von jedem die Hand geben und viel Glück wünschen. Er gab Lucie sogar zum Abschied einen seiner Lieblingslollis, den sie augenverdrehend entgegennahm. Selbst sie war ungewohnt schweigsam.

Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie schwer es für alle Anderen war, einfach unwissend zurückzubleiben und sich lediglich vorstellen zu müssen, was alles passieren konnte. Ich würde wahnsinnig werden an ihrer Stelle.

Zwei Tage zuvor, waren etwa einhundert Mann als Verstärkung für unsere Reihen angerückt. Über die Hälfte davon war indianisch stämmig, ein Teil mexikanischer Herkunft. Aber sie waren bereits alle am Vortag, mit dem Heli rüber transportiert worden.

Unter den Indianern war auch ein älterer Mann, der anscheinend den Rang eines Medizinmannes inne hatte. Denn gestern Abend hatten Bella und Jake mit ihm irgendein Ritual vollzogen. Keine Ahnung, was es genau bewirken sollte, aber der indianische Gesang, der dabei durchs ganze Haus schallte, verstärkte die unheilvolle Stimmung leider noch weiter.

Auch jetzt waren die Zwei schon wieder dabei, irgendetwas in dieser Richtung vorzubereiten.

Kaum aus dem Helikopter ausgestiegen, waren sie die Treppen runter nach draußen gegangen und hatten sich an das Feuer begeben, dass anscheinend von den anderen Stammesmitgliedern schon vorher entfacht wurde. Ich kam mir dabei ein wenig vor, wie im Wilden Westen, denn es gellten ab und zu sogar so was wie indianische Kriegsrufe durch den nebligen Morgen. Es war wirklich gespenstisch.

Jake und Bella begaben sich nun vor das Feuer und blieben direkt davor stehen. Beide trugen heute wieder komplett schwarz und waren wie immer bewaffnet bis an die Zähne. Das kannte ich ja schon. Der einzige Unterschied war, dass sie eine Art langärmligen Overall trugen, bei dem der komplette Rücken frei gelassen wurde, so dass man ihre Tattoos sehen konnte.
Eine Weile lang sahen sie einfach nur ins Feuer und schienen irgendwelche Sachen zu murmeln, ehe sie sich plötzlich wieder einander zuwandten. Dabei hatten sie jeder ein kleines Messer in der Hand und verpassten sich gegenseitig und völlig synchron einen Schnitt am linken Handgelenk.

Perplex sah ich zu, wie sie sich gegenseitig mit ihrem Blut eine Art Kriegsbemalung auf Stirn, Nase und Wangen zeichneten und anschließend, ihre blutenden Handgelenke eng aneinander haltend, die Köpfe aneinander lehnten und mit geschlossenen Augen irgendeinen Singsang von sich gaben.

Der dichte Nebel und das Flackern der Flammen auf ihrer Haut, ließ die ganze Szene wirklich gespenstisch aussehen, aber man konnte auch regelrecht die Verbundenheit der beiden spüren. Das aufgefrischte, feste Band zwischen ihnen, war regelrecht greifbar und berührte mich sehr. Jeder der beiden hatte wohl gerade geschworen, den anderen in den Tod zu begleiten, sollte es nötig sein.

Nach ein paar Minuten lösten sie sich wieder voneinander, leckten sich gegenseitig über die Schnitte und grinsten sich dann an.

Als Bella anschließend auf mich zukam, musste ich doch kurz schlucken, denn der Anblick des halb getrockneten Blutes in ihrem Gesicht, war wirklich etwas gewöhnungsbedürftig. Doch wenn das hieß, dass wir den Segen ihrer Ahnen auf unserer Seite hatten, nahm ich auch das in Kauf.

Danach hieß es warten.

Auf den Dächern rundherum befanden sich mittlerweile etwa ein Dutzend Leute, die anderen waren auf dem Gelände verstreut. Der Großteil lauerte im Moment direkt hinter der Mauer.

Ich wusste nicht, wie Bella Aro informiert hatte. Oder woher sie genau wissen konnte, dass er heute tatsächlich hier auftauchen würde, aber das war ja auch nicht wirklich wichtig für mich. Das einzige, was für mich zählte war, dass das hier heute möglichst schnell vorbei sein sollte. Ich wollte endlich in Frieden leben. So weit, wie das mit Bella an meiner Seite möglich war.

Der Nebel um uns lichtete sich weiterhin nur schleppend. Noch immer war die gesamte Umgebung, ab etwa einem Kilometer Entfernung, hinter einer dichten, weißen Wand verborgen.

„Sie kommen“, rief Jake plötzlich in die Stille und mein Herz zog sich ruckartig zusammen.

Intensiv spähte ich auf die Nebelwand vor mir, konnte aber ein paar unendliche Minuten lang, noch überhaupt nichts erkennen. Bis plötzlich ein paar schwarze Gestalten aus dem Nichts auftauchten. Sie liefen nebeneinander, und ich wollte mich schon anfangen zu freuen, dass es so wenige waren, bis ich meinen Blick einmal ringsherum schweifen ließ und mir das Blut in den Adern gefror.

Denn sie liefen nebeneinander, das war schon richtig.

Und es war sogar ein wenig Abstand zwischen den einzelnen Personen.

Aber sie waren ringsherum.

Und ab und zu war sogar auch ein Fahrzeug zu erkennen.

Wir waren eingekesselt.

Das war das Ende…








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