53 a step forward into terror
Leise trat ich durch die geöffnete Terrassentür nach draußen, wo mir sofort die angenehm kühle Nachtluft entgegen schlug. Bella hatte mir noch kurz zugelächelt, als ich in Richtung Tür ging und sicherlich war ihr klar, was ich vor hatte.
Ahab bewegte sich keinen Millimeter, als ich von hinten an ihn heran trat. Falls er mich bemerkt hatte, und davon ging ich aus, ließ er sich es wenigstens nicht anmerken.
Auf halbem Weg zu ihm hatte ich allerdings immer noch arge Zweifel, ob das wirklich so klug war, was ich hier tun wollte.
Andererseits würde ich ihm bald mein Leben anvertrauen, also würde mich wohl ein normales Gespräch mit ihm nicht umbringen. Wobei ich noch gar nicht genau wusste, über was ich eigentlich mit ihm reden sollte.
Vielleicht über Mechanismen einer halbautomatischen Waffe? Womit ich meine Waffe am liebsten putzte? K.O. Punkte und deren Anwendung?
Ne, war alles nicht so mein Ding.
Also räusperte ich mich einfach und ließ mich neben ihm auf der kleinen Treppe nieder, die von der Terrasse in den Garten herunter führte.
Ahab reagierte überhaupt nicht auf mein Erscheinen, sondern streichelte ungestört seinen Kater weiter, der zwischen seinen angewinkelten Beinen hockte. Auf seinem rechten Knie balancierte er dabei eine Schachtel Schokoladentrüffel. Es war Bellas Lieblingssorte, die sie sich aus Europa importierte. Die Schachtel war bereits halb leer und er steckte sich gerade wieder einen Trüffel in den Mund und stöhnte dann wohlig auf, als er ihn sich auf der Zunge zergehen ließ.
„Möchtest... möchtest du einen Whisky dazu?“, fragte ich vorsichtig und sah ihn abwartend an. Er drehte mit sichtlich überraschtem Blick den Kopf zu mir und verschluckte sich dabei fast. „Ähh…sicher“, antwortete er irritiert.
Mit zittrigen Händen goss ich ihm zwei Fingerbreit in das mitgebrachte Glas ein und reichte es ihm. Er nahm es dankend und nippte gleich daran. Ich wartete einige Sekunden, ehe ich ihn wieder ansprach.
„Darf ich dich was fragen? Warum sitzt du hier alleine draußen und nicht drinnen bei den anderen?“, fragte ich vorsichtig.
Er hielt mit dem Glas am Mund inne und sah mich eigenartig an. „Ist das nicht offensichtlich?“
Ich schüttelte verneinend den Kopf. Gut, er war bei uns nicht gerade beliebt, aber trotzdem würde es niemand wagen, ihn rauszuwerfen. Als er an seinem ersten Tag bei uns reingeplatzt war, hatte er sich ja auch keinen Kopf darum gemacht, was die anderen zu seiner Anwesenheit sagten.
„Ich gehöre da einfach nicht hin“, erwiderte er nun kurz und leerte sein Glas in einem Zug, um sich gleich darauf wieder einen Trüffel in den Mund zu schieben. „Möchtest du auch einen?“, er hielt mir die Schachtel abwartend hin.
„Nein... danke trotzdem. Ich bleib lieber hierbei“, erwiderte ich schnell und hielt mein Whiskyglas hoch. Ich hatte schon mal einen davon probiert. Sie waren wirklich lecker, aber auch sehr süß. Mehr als drei oder vier konnte man davon eigentlich nicht essen, ohne dass einem übel wurde. Und erst recht nicht, nachdem man Whisky getrunken hatte. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie das dann schmeckte. „Aber wieso gehörst du da nicht hin?“, fragte ich neugierig weiter, während ich meinen Rest Whisky trank und uns dann nachschenkte. Ich war so abgelenkt, dass ich gar nicht das obligatorische Brennen bemerkte, welches der Glennfiddich in meiner Kehle verursachte.
„Na, weil DAS da“, er deutete mit dem Kopf nach hinten, „deine Familie ist. Ich hatte nie eine eigene Familie. Oder hab‘ sie zumindest nicht kennengelernt. Deswegen komme ich mit so was einfach nicht klar. Ich wäre wie ein fünftes Rad am Wagen. Oder müsste mich ziemlich verstellen. Und das wäre irgendwie nicht ich, verstehst du, ... ich... ich bin das einfach nicht gewöhnt, vermutlich würde ich ruck zuck wegen irgendeinem harmlosen Scherz ausrasten und das muss ja nicht sein“, er zuckte mit den Schultern und nippte wieder an seinem Whisky.
„Aber… B... Bella würde sich sicher freuen“, antwortete ich, ohne nachzudenken.
„Sie ist da aber auch schon die einzige“, gab er grinsend zurück und nahm sich schon wieder einen Schokoladentrüffel. „Nicht, dass ich euch einen Vorwurf deswegen machen würde.“
Jetzt wusste ich wirklich nicht, was ich darauf antworten sollte. Anscheinend war es wirklich sehr offensichtlich, das Jake und ich so negativ über ihn dachten und ihn ablehnten. Allerdings schien ihn das nicht wirklich zu stören.
„Du hast nicht wirklich viele Freunde, oder?“, hakte ich vorsichtig nach und nahm wieder einen kleinen Schluck von meinem Whisky.
„Falsch! Ich habe GAR KEINE Freunde, Edward. Denn wenn man so ist wie ich, kann man sich einfach keine Freunde leisten...Punkt! Und selbst Isabella kann man eigentlich nicht als Freundin bezeichnen“, der nächste Schokoladentrüffel verschwand. Mir wurde langsam schon vom Zusehen übel.
„Aber sie mag dich doch“, gab ich zurück.
„Ist das so?“, antwortete er und zog fragend eine Augenbraue hoch. Er überlegte kurz, dann lächelte er selig. „Ich mag sie ja auch ganz gern… vielleicht sind wir ja dann doch so was wie Freunde.“
„Klar, sie teilt schließlich ihre Lieblingstrüffel mit dir“, warf ich ein. Und das war schon etwas Besonderes, denn das tat sie eigentlich sonst nicht. Emmett hatte einmal versucht, sich ein paar Trüffel von ihr zu mopsen, was ihm dann aber mächtig Ärger eingebracht hat. Denn gerade, wenn es um ihre heißgeliebten Schokoladentrüffel ging, konnte Bella wirklich zur Furie werden.
„Stimmt“, er lächelte wieder ein wenig. „Okay, dann habe ich wirklich einen Freund“, er nahm seinen Kater hoch und platzierte ihn auf seinem anderen Bein. Die Augen von Hannibal reflektierten gespenstisch das Mondlicht. „Oder eher anderthalb“, fügte Ahab hinzu.
Wir saßen noch eine ganze Weile zusammen, tranken die halbe Flasche Whisky, während er die Trüffelschachtel leer machte. Die ganze Zeit über sprachen wir kein Wort mehr, aber trotzdem fühlte ich mich nicht unwohl dabei. Denn irgendwie...irgendwie fasste ich langsam doch Vertrauen zu ihm. Ich wusste nicht genau, warum das so war und ob es am Alkohol oder am Mondschein lag, aber es gab einen kleinen Teil in mir, der begann, ihn irgendwie doch zu mögen. Auf eine eigenartige Weise.
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Am nächsten Morgen erklärte uns Bella dann endlich beim gemeinsamen Frühstück, dass es am Abend einen ersten Einsatz geben würde. Die Vorbereitungen dafür gingen bereits am Nachmittag los. Diesmal trugen wir nicht die Anzüge vom letzten Mal, sondern eine Kombination aus schwarzen Cargo Hosen und enganliegenden schwarzen Longsleeves. Eben gut sitzende Kampfbekleidung.
Mit einem unguten Gefühl im Magen beobachtete ich Bella dann dabei, wie sie sich sorgfältig bewaffnete. Im Gegensatz zu sonst, trug sie kein Schulterholster, sondern hatte ihre Sig Sauer griffbereiter am Oberschenkel befestigt. In die Taschen ihrer Cargo Hose steckte sie sich mehrere Magazine und befestigte an ihrem anderen Bein ein Messer. Ich fragte mich ernsthaft, warum sie das mitnahm, denn bisher hatte ich sie noch nie mit einem Messer hantieren sehen, eigentlich war das sonst eher Jakes Metier. Warum also änderte sie ihr Kampfmuster? Sie war doch eher der Typ für sämtliche Arten von Handfeuerwaffen. Ihre Haare, die sie sonst meist offen trug, band sie sich in einem festen, französischen Zopf zurück. Alles in allem erinnerte sie mich mächtig an Lara Croft, nur, dass die ihre Waffen immer an der Hüfte trug.
„Wieso hast du deine Pistole am Bein festgemacht?“, fragte ich deshalb ein wenig verwundert nach.
„Bessere Bewegungsfreiheit“, murmelte sie abgelenkt, während sie sich ihre Stiefel zuband. Es waren so eine Art von Stiefel, wie Kickboxer sie trugen, ebenfalls in schwarz. Eigentlich fehlten jetzt nur noch die obligatorischen Balken unter den Augen und sie könnte in jedem Actionfilm mitspielen.
„Bewegungsfreiheit?“, murmelte ich verwirrt und sah erstaunt, dass sie sich Fingerhandschuhe aus schwarzem Leder überzog. Das war definitiv neu und irgendwie wirkten die Handschuhe auch ein wenig dicker.
„Quarzsandfüllung“, murmelte Bella grinsend, sie musste meinen fragenden Blick gesehen haben, und schlug sich ihre Faust in die eigene geöffnete Hand. „Edward, nochmal, das hier wird kein Spaziergang werden. Und wir werden auch nicht nur von weitem schießen, wie beim letzten Mal. Ich will Caius persönlich erledigen. Und das am besten face-to-face...“
Ich schluckte und sah ein wenig bang zu meiner Frau, deren Augen sich beim Sprechen zu Schlitzen verengt hatten.
Für diesen Caius wäre es sicherlich das Beste, wenn ihn jemand frühzeitig erschoss, bevor Bella oder Jake ihn in die Finger bekamen. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie sie ihn töten würde, aber es würde sicherlich schmerzhaft und nicht gerade schnell sein. James Tod würde da wahrscheinlich kein Vergleich sein.
Ob ich das wirklich sehen wollte? Ein Teil von mir fürchtete sich davor, Bella dabei zuzusehen und hatte Angst, in den schwarzen Teil ihrer Seele zu blicken, der nur auf Rache und Töten aus war. Andererseits wollte ich es aber auch sehen. Wollte miterleben, wie sie endlich ihren lang ersehnten und verdienten, inneren Frieden erlangte. Denn solange Caius noch lebte, würde sie definitiv keine Ruhe finden. Egal, wohin wir uns in dieser Welt verkriechen würden. Und ich hatte ihr Treue in guten, wie in SCHLECHTEN Tagen gelobt…
Kurz nach Einbruch der Dunkelheit brachen wir auf. Es war irgendwie anders, als beim letzten Mal. Man konnte förmlich die Anspannung spüren, die in Luft lag. Niemand sprach während der Fahrt ein Wort. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Selbst Jasper war still.
Bella hatte mich, kurz vor der Abfahrt, noch mal zur Seite genommen und mich beim Leben unserer Tochter schwören lassen, dass ich – egal was passierte – bei Ahab blieb. Außer, sie würde etwas anderes sagen. Dann küsste sie mich mit einer Leidenschaft, dass mir hinterher ganz schwindlig gewesen war.
Als wir am Zielort ankamen, stiegen wir lautlos aus dem Wagen. Es war ein verlassenes Industriegelände, irgendwo in der Nähe eines Hafens. Ich konnte den Geruch von abgestandenem Wasser in der Luft ausmachen. Unaufgefordert zückten alle sofort ihre Waffen, also zog ich meine auch. Nur zur Sicherheit.
Wir teilten uns auf. Bella bildete mit Jake die Vorhut, flankiert von fünf anderen. Jasper war mit Sam und vier anderen in einer zweiten Gruppe, die sich von hinten dem Gebäude nähern sollte. Das Schlusslicht bildeten mein Bodyguard und ich. Wir sollten etwas zurückbleiben und somit der ersten Gruppe den Rücken freihalten.
Dicht hinter Ahab bleibend, folgte ich mit einigem Abstand den anderen, die sich leise in Richtung einer größeren Halle begaben.
Plötzlich schossen aus einer kleinen Gasse, etwa hundert Meter rechts von uns, ein paar vermummte Gestalten hervor und trennten uns so von der ersten Gruppe vor uns. Da sich aber die anderen schon im Gebäude befanden, wandten sich unsere Angreifer erst mal uns zu.
„Shit“, murmelte Ahab neben mir, packte mich unsanft am Kragen und zog mich hinter ein verrostetes Auto, welches am Straßenrand stand, in Deckung. Gerade noch schnell genug, denn eine Sekunde später, flogen uns die Kugeln nur so um die Ohren.
Mit zittrigen Händen hielt ich meine Waffe fest und versuchte dabei angestrengt, ruhig zu bleiben. Im Kopf ging ich dabei durch, was ich im Training gelernt hatte.
Entsichern. Zielen. Schießen. NICHT zögern…
Erst auf den Oberkörper, dann möglichst auf den Kopf. Die sicherste Methode, um jemanden zu töten. Bella hatte mir sehr ausführlich erklärt, welche Schüsse wirklich zum sofortigen Tod führten. Was nicht gerade viele waren. Selbst ein Treffer direkt ins Herz war zwar auf Dauer tödlich, aber es konnte gut möglich sein, dass der Tod erst nach ein paar Minuten eintrat. Was ich ja bereits live gesehen hatte.
Ich drehte meinen Kopf zu Ahab, der ruhig neben mir hockte.
„Bleib unten“, zischte er mir zu, während er kurz den Kopf aus der Deckung nahm. „Acht“, stellte er leise fest, ehe er sich, mit gezückter Waffe, aus der Deckung schmiss und eine schnelle Salve von mehreren Schüssen abgab. „Fünf“, murmelte er triumphierend, als er wieder hinter dem Auto in Sicherheit war und sein leeres Magazin aus der Waffe gleiten ließ. Die verbliebenen Angreifer schossen derweil munter weiter. Alle paar Sekunden erfolgte ein Schuss. Mein Adrenalinspiegel war mittlerweile so hoch, dass ich gar nicht dazu kam, mir Sorgen um Bella oder Jake zu machen.
Und Ahab? Der kramte sorglos in seinen Taschen gerum. Hatte er etwa vergessen, Ersatzmunition mitzunehmen? Als VOLLPROFI? Ich konnte es nicht glauben.
„Ja, wo isser denn“, kam es munter von ihm, als er seine Taschen systematisch abklopfte.
Verdammt, musste er jetzt etwa ein neues Magazin suchen? Er hatte doch tausend Taschen, da er sogar noch eine Weste trug, da würde er doch wohl noch irgendwo fündig werden? Vor allem BALD…
Mir wurde bereits ganz anders, denn die Schüsse unserer Angreifer kamen immer näher. Ich konnte die Männer schon siegessicher grölen hören.
„Ah, DA ist er ja“, hörte ich Ahab freudestrahlend sagen. Ich sah zu ihm hin und meinte meinen Augen nicht zu trauen, denn er holte sich seelenruhig einen Lolli aus seiner Weste, befreite ihn von seinem Papier und steckte sich ihn sich selig lächelnd in den Mund.
„Willst... willst du nicht langsam mal nachladen?“, fragte ich atemlos. Ich fasste es einfach nicht, wie er sich JETZT einen Lolli gönnen konnte. Unser Leben war schließlich bedroht, verdammt nochmal! Und er dachte nur an Süßkram…
„Keine Panik“, er griff flink in seine Tasche und schob schnell ein neues Magazin in seine Waffe. „Ich warte nur darauf, bis sie nachladen müssen.“ Er zuckte entschuldigend mit den Schultern.
Genau in diesem Moment trat eine kurze Pause ein. Und Ahab wirbelte, mit einem „Showtime“ auf den Lippen, sofort herum und ballerte augenblicklich los. Ich hörte umgehend gurgelnde Geräusche und etwas Schweres, was unsanft zu Boden fiel. Plötzlich erhob Ahab sich wieder, sprintete über die Motorhaube unserer Deckung und ich hörte kurz danach jemanden schreien. Na ja, dann waren es wohl nur noch drei…? Oder weniger?
Etwas ängstlich drehte ich mich um, damit ich über das geparkte Autowrack hinweg blicken konnte. Ein paar Meter hinter dem Wagen lagen tatsächlich fünf, augenscheinlich tote, Männer. Ahab stand neben einem der Kerle und wischte sich gerade sein blutiges Messer an einem Hosenbein ab. Hatte er den etwa damit getötet? Ich wollte es gar nicht genauer wissen.
„Kannst rauskommen“, rief er mir fröhlich zu, ohne sich umzudrehen.
Vorsichtig ging ich zu ihm rüber. Er steckte bereits das Messer zurück in die Halterung und nahm den Lolli aus dem Mund. „Anscheinend hatte Caius wohl doch die Befürchtung, dass Isabella ihm hier auflauern könnte“, mit dem Fuß kickte er verächtlich gegen den Schuh des Toten vor ihm, dessen Blut aus einem langen Schnitt an der Kehle, leise auf den Asphalt lief. „Aber anscheinend hatte er dann doch nicht genug Angst, um Profis dafür einzusetzen. Waren wohl zu teuer“, er schnaubte nochmal verächtlich. „Immer diese Sparerei am falschen Ende. Er wird schon sehen, was er davon hat. Aber jetzt komm, Isabella wartet sicher bereits auf uns.“ Mit langen Schritten ging er davon und ich beeilte mich, mit ihm Schritt zu halten. Hier wollte ich auf keinen Fall auch nur eine Sekunde alleine dastehen.
Innerlich bedankte ich mich bei Bella, die anscheinend nicht an Ahab gespart hatte…der Junge war wirklich Gold wert…
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