47 take me home
Ohne anzuhalten, rannten wir zurück zu unseren Wagen und noch bevor wir überhaupt angeschnallt waren, rasten wir bereits, mit quietschenden Reifen, in Richtung Straße davon. Seth war aus vollem Lauf in die offene Wagentür gesprungen, während Jake die Katze weiterhin eisern im Arm hielt. Der schien das aber überhaupt nichts aus zu machen. Sie schien Trouble gewöhnt zu sein. Kein Wunder, bei der Besitzerin.
Wollte er die etwa wirklich mitnehmen?
Mit der Katze auf dem Schoß raste Jake nun zickzack über den Parkplatz, während Bella halb aus dem Beifahrerfenster hing und systematisch die Reifen der parkenden Wagen zerschoss.
Ich ließ meinen Blick über die Autos schweifen und sah neugierig zum Haus hinüber.
Ob sie versuchen würden, uns zu verfolgen? Nun gut, DAS war ja nun nicht mehr möglich, außer, sie wollten es zu Fuß versuchen.
Mit Entsetzen erkannte ich, dass aus sämtlichen Fenstern des Gebäudes heller Rauch drang.
„Habt... habt ihr das Haus etwa angezündet?“, fragte ich erschrocken und beobachtete, wie die Gäste schreiend aus dem Gebäude strömten. Allen voran Sally, die sich ihre verletzte Schulter hielt und mit der Waffe in der anderen Hand auf uns schoss. Wir waren aber zum Glück schon zu weit weg, als dass sie hätte Schaden anrichten können.
„Nein“, antwortete Bella kopfschüttelnd. „Das sind bloß ein paar Rauchbomben mit Zeitzünder. Nur, damit sie unseren Auftritt nicht so schnell vergessen“, sie grinste.
„Das werden sie sicher nicht“, brummte Jake, während er unbeirrt weiterfuhr. „Madame musste ja auch mal wieder übertreiben.“
„Och, Ohanzee“, kam es sofort von ihr. „Ich musste sie verletzten, damit es wirklich glaubhaft wirkt. Das war doch so abgesprochen...“. Sie machte einen Schmollmund.
„Streifschüsse waren abgesprochen. STREIFSCHÜSSE!“, knurrte er wieder in ihre Richtung. „Das gibt definitiv eine Narbe. Versuch ja nicht, mir was anderes zu erzählen.“ Er fuchtelte mit seinem Zeigefinger wild vor Bellas Nase rum.
Belustigt lächelnd stupste Bella ihn an. „Es ist nicht ihre erste und wird auch nicht ihre letzte Narbe sein. Wir hatten abgesprochen, bei unserem Aufeinandertreffen so realistisch wie möglich zu sein. Und unter ihr enges Kleid passten nun mal keine Blutbeutel. Warum ist sie auch so eitel…“, sie zuckte mit den Schultern.
„Weil es eine Hochzeit war und kein Waldspaziergang“, verteidigte Jake seine Freundin sofort energisch. „Und weil …“
„Blutbeutel?“, unterbrach Jasper, laut japsend, ihr Wortgefecht.
„Oh Jazzi, dein Adrenalinspiegel sinkt. Warte …“, Bella drehte sich schnell wieder herum, schaltete die Innenraumbeleuchtung ein und zog etwas aus dem Seitenfach der Autotür. Als sie sich wieder zu uns wandte, sah ich mit Schrecken, dass ihr Blazer an mehreren Stellen blutgetränkt war.
Jasper wohl auch, denn er gab würgende Geräusche von sich.
Wortlos hielt ihm Bella eine Papiertüte hin, die er sich sofort vor den Mund hielt und begann, so langsam er konnte, aus und ein zu atmen. Wäre die Lage nicht so ernst gewesen, hätte ich vermutlich über die Tüte, die nun ständig vor meinen Augen, größer und wieder kleiner wurde, und seine riesigen Augen, die über den Rand schauten, gelacht.
Aber mir war zurzeit ganz und gar nicht nach Lachen zu mute. Denn MEINE Frau war über und über mit Blut bedeckt. Und verlor – NATÜRLICH – kein Wort darüber!!!
„Oh mein Gott“, entfuhr es mir also und sie sah mich verwundert an. „Du bist verletzt! Und verlierst Blut! Jake, wir müssen sofort was tun…“ Doch dieser grinste jetzt nur. Konnten die Zwei auch noch was anderes? dachte ich wütend. So lustig war das doch nicht?!
In meinem Kopf malte ich mir schon ein wahres Horrorszenario aus. Eine bewusstlose Bella und keine Möglichkeit ihr zu helfen, da wir ja schlecht einfach mal so in ein Krankenhaus fahren konnten. Gut, wir konnten schon, aber die Folgen wären unabsehbar. Und Bella dann stinkwütend.
„Keine Panik, Baby“, lächelte sie mich an und tätschelte beruhigend meinen Arm. „Das Meiste ist nicht mein Blut. Oder auch irgendwie schon. Also entweder Jakes oder meines, aber das spielt ja keine Rolle.“
Ihr Blut ODER das von Jake? Ich verstand nur Bahnhof.
„Das waren alles Blutbeutel“, hörte ich Jasper undeutlich durch die Tüte sprechen und Bella nickte.
„Stimmt, es sollte ja echt aussehen“, plötzlich kniff sie die Augen ein wenig zusammen, so als ob sie doch Schmerzen hatte. Also doch nicht nur Blutbeutel. Irgendwas hatte sie doch?
„Hantywee“, selbst Jake warf ihr jetzt einen besorgten Blick zu. Ihm war das natürlich nicht entgangen, obwohl ich keinen blassen Schimmer hatte, was zum Teufel er hatte sehen können.
„Schon okay“, sie atmete langsam aus. „Ist ein nur ein Steckschuss im Oberarm, nichts weltbewegendes.“
„Du... du bist doch verletzt?“, stammelte ich. Ich wusste es doch.
„Keine Panik, Edward“, versuchte sie mich mit einem Lächeln aufzumuntern. „Die Kugel steckt bloß in meinem Deltamuskel. Ist wirklich nicht so schlimm, tut nur gerade etwas weh. Wir holen nachher einfach die Kugel wieder raus und dann ist alles wieder in Ordnung, ok?“
„War Sally das?“, fragte ich mit großen Augen und Bella nickte. „Ich hab mich etwas zu schnell gedreht und zu spät gesehen, dass sie den Beutel an meiner Schulter anvisiert hatte. So traf sie mich wirklich. Das ist Pech, aber nicht zu ändern. Ich hätte ihr den Durchschuss ebenfalls auch gern erspart, aber es wäre sonst nicht glaubhaft gewesen, dass sie Jake nicht trifft.“
Von Jake kam nun zustimmendes Gebrumme.
„Ist sie denn so gut?“, hakte ich nach, während Jasper immer noch die Tüte vor sein Gesicht hielt, aber mittlerweile wieder langsamer atmete.
„Sie ist die beste Scharfschützin, die mir je begegnet ist“, entgegnete Bella und ich wusste, dass sie das ernst meinte. Immerhin hatte sie Sally unser aller Leben anvertraut. Und in ihrem Fall, war eine Kugel im Oberarm ja nicht gerade sehr weit weg von einer Kugel im Herzen.
„Also wusste sie, wo ihr die Blutbeutel versteckt habt?“, fragte Jasper nuschelnd. Bella nickte knapp.
„Die Taschen zum Verstecken für die Dinger sind bei jedem dieser Anzüge gleich. Sie hat auch einen, natürlich ohne die Stickerei und in einer anderen Farbe, aber vermutlich wollte sie auf einer Hochzeit unbedingt ihr neustes Kleid tragen. Wo wir wieder bei 'eitler Dickkopf' angekommen sind“, sie warf einen Seitenblick auf Jake.
Bella zuckte nicht einmal, als dieser ihr eine Kopfnuss auf den Hinterkopf gab und sprach unbeirrt weiter.
„Ich hab doch gesehen, wohin sie gezielt hat. Bis auf den einen Treffer, hat sie immer nur die Beutel mit einem Streifschuss geöffnet, wie geplant. Auch ich hab sie, außer bei dem letzten Durchschuss, immer nur leicht mit der Kugel gestreift. Sie stand ja, Gott sei Dank, meist recht still und bei dem dünnen Kleidchen, war ich ja sowieso immer direkt auf der Haut. Nur leider ist das Kleid jetzt hin. Dafür wird sie mich vierteilen…“
„Aber es sah gut aus“, warf Jasper ein und Jake brummte zustimmend.
„Hübsch ist sie ja…“, murmelte er dann weiter, ganz verträumt.
Jakes böser Blick fuhr sofort in Bellas Richtung. „Nimm ihm bloß die Tüte weg, ich glaube, der Sauerstoffmangel bekommt ihm anscheinend nicht.“
Bella stupste ihn grinsend an. „Eifersüchtig? Aber er hat doch nur die Wahrheit gesagt. Sally ist ne Hübsche, und dass das nicht nur dir auffällt, ist doch eigentlich klar, oder?“
Er nuschelte irgendwas Undefinierbares, was sich arg wie „Finger dran, Finger ab“ anhörte, ehe er tief seufzte und sehr ernst wurde. „Bist du dir wirklich sicher, dass du sie nicht ernsthaft verletzt hast?“, fragte er dann leise. „Du weißt, was sie mir bedeutet. Und ich hasse es, dass sie jede verdammte Sekunde den Kopf bei diesem Arsch für uns hinhält. Die Schmerzen hätte ich ihr auch gerne erspart…“
„Hey, sie ist ok. Und natürlich hab ich sie ganz sauber getroffen“, antwortete Bella, ohne zu überlegen und strich ihm dabei beruhigend über den Kopf. „Ich kann gut verstehen, dass du dir Sorgen machst, aber ich würde sie nie willentlich schwer verletzten. Die Kugel ist oberhalb des Schlüsselbeines eingetreten. Eine reine Fleischwunde, nichts allzu dramatisches. Es wird ein wenig schmerzen, aber du weißt besser als ich, dass sie schon Schlimmeres überstanden hat. Das, und ihr Verhalten, wird ihre Position bei Aro festigen. Ich bin doch selber nicht begeistert, dass sie da immer noch so tief drinsteckt, vor allem jetzt ohne Seth, aber wir brauchen sie doch dort. Das weißt du doch, Jake? Und sie hat sich freiwillig gemeldet, sie kannte das Risiko.“
„Ja, ich weiß es noch. Und sie tut es nur, um uns zu helfen. Sie bräuchte das alles nicht machen. Sie hatte ja ursprünglich gar nicht mit der Sache am Hut“, entgegnete Jake. Seine Stimme klang anders als sonst. Nicht so vorlaut und kraftvoll. Er musste sie wirklich sehr vermissen.
Bella versuchte natürlich sofort, ihn zu beruhigen. „Das weiß ich. Sie liebt uns beide genauso, wie wir sie. Und sie weiß, dass wir NIEMALS zulassen würden, dass ihr ernsthaft etwas geschieht. Und selbst dann nicht, wenn der unwahrscheinliche Fall eintreten würde, dass Aro bemerkt, dass sie gegen ihn arbeitet. Zumal er sie niemals sofort töten würde. Jedenfalls nicht, ohne uns als direkte Zuschauer. Sie ist für ihn viel zu wertvoll. Also zerbrich dir nicht deinen Kopf. Spekulationen bringen uns nicht weiter. Der Auftritt heute hat ihre Position stark gefestigt. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie gerade laut fluchend durch die Gegend rennt und auf alles und jeden schimpft. Du kennst sie doch…da sollte man ihr nicht aus Versehen in die Quere kommen…“
Jake sah wieder kurz in ihre Richtung und ein leichtes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. „Jaaaaaa, allerdings. Vielleicht schießt sie dann Dimitri ja doch noch die Eier weg. Hoffnung hätte ich da und verdient hätte er es...“
Selbst Jasper kicherte bei der Vorstellung.
Bella grinste zurück und bekräftigte „Und WIR haben definitiv unser heutiges Ziel erreicht. Sie wissen nun, dass wir noch da sind, stärker als jemals zuvor und nicht bereit, zu irgendwelchen faulen Kompromissen!“, sie hielt ihre Faust in Jakes Richtung. „UND das wir dafür kämpfen bis in den Tod.“ Nickend stieß Jake seine Faust gegen ihre. „Ihren Tod selbstverständlich. Wenn ich drum bitten dürfte…“
Ich hatte mir bisher nicht viel Gedanken über Sally, oder sogar Jake, gemacht, Sie war unser Maulwurf. Punkt. Eine für mich bisher unbekannte Person. Aber jetzt wurde mir bewusst, dass sie wirklich real war und somit so viel mehr dahinter steckte. Dass sie ihr Leben riskierte, war mir schon klar gewesen, aber irgendwie hatte ich ihr auch nicht hundertprozentig vertraut. Bisher jedenfalls. Allerdings sah ich nun mit eignen Augen, wie eng die drei miteinander verbunden waren und wie weit sie wirklich bereit waren, zu gehen. Persönliche Verletzungen und die damit verbundenen Schmerzen wurden einfach in den Hintergrund gestellt. Das Ziel war in greifbare Nähe gerutscht. Nur das hatte Priorität. Und sie waren halt alle, erfahrene Kämpfer.
Bisher hatte ich auch völlig übersehen, dass für Jake Sally das war, was Bella für mich war. Sein Leben. Seine Liebe. Seine Sonne, um die sich alles drehte.
Und sie war nun schon länger nicht mehr bei ihm, sondern schwebte permanent in großer Gefahr, enttarnt zu werden. Wenn sie auch in dem Fall nicht sofort getötet werden würde, foltern würde man sie bestimmt. Alleine schon, um an Informationen über Bella und Jake zu kommen. Und aus Rache natürlich.
Das alles riskierte sie, ohne mit der Wimper zu zucken. Ihr Auftritt war so überzeugend gewesen...
Was würde ich tun, wenn Bella so was machte? Ich würde sicherlich umkommen vor Sorge, das stand schon mal fest. Sie dann aber, bei einer flüchtigen Begegnung, bei der ich sie nicht mal in den Arm nehmen durfte, auch noch anzuschreien oder sogar, auf sie zu schießen, könnte ich niemals. Was Jake getan hatte, war wirklich bewundernswert. Sicherlich war es ihm nicht leicht gefallen. Sicherlich wäre er am liebsten zu ihr gelaufen und hätte sie mitgenommen. Stattdessen hatten die zwei sich angebrüllt und gegenseitig beschossen. Ich seufzte.
Ob Sally ihn eigentlich auch getroffen hatte? Von hinten war jedenfalls nichts zu erkennen. Und Bella hatte ihr ja aus genau diesem Grund, den Schulterdurchschuss verpasst. So musste sie mit der anderen Hand schießen und das erklärte, warum sie nicht getroffen hatte.
Das alles war trotzdem sicher nicht einfach für ihn...
„Jetzt, wo Sally uns den Dicken und die Kleine übergeben hat“, unterbrach Bella in die Stille im Auto und strich Seth, der zwischen ihren Beinen saß, über den Kopf „sollten wir unseren Plan etwas beschleunigen. Je eher wir sie da raus holen, desto besser.“
„Bin ganz deiner Meinung“, brummte Jake. „Wen nehmen wir uns zuerst vor?“
Ich warf einen Blick zu Jasper, der mit neugierigen Augen nach vorne sah und interessiert zuhörte. Die Tüte hatte er mittlerweile runtergenommen, atmete aber weiterhin durch den Mund.
„Caius“, antwortete Bella schlicht.
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Der Rest der Fahrt verlief ruhig. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.
Und ich machte mir irgendwie Sorgen...wie immer eben.
So, wie sich das gerade bei Bella angehört hatte, würde ab jetzt alles etwas beschleunigt ablaufen und ich befürchtete, dass sie deshalb irgendeinen Fehler machen könnte. Und Fehler waren ganz schlecht. In ihrem Metier waren Fehler meist sogar tödlich.
Auch wusste ich nicht so genau, ob es immer so gut wäre, wenn ich bei jedem Einsatz dabei sein würde. Sicher, ich WOLLTE dabei sein, weil ich sie nicht alleine lassen konnte. Weil mich die Sorgen dann umbringen würden. Aber stand ich ihr eigentlich nicht nur im Weg? War ich nicht nur Kanonenfutter oder DAS Druckmittel gegen sie? Jasper war ja nur dabei, um ausschließlich auf mich aufzupassen. Ich glaube kaum, dass ich es geschafft hätte, tatsächlich auf irgendwen zu schießen. Selbst in Notwehr nicht.
Und heute war es ja noch nicht einmal wirklich gefährlich gewesen. Jedenfalls nicht für mich. Für Bella und Jake schon. Trotzdem war ich vor Angst fast wie gelähmt gewesen. Auch wenn ich das nie vor ihr zugeben würde. Denn dann würde mich Bella hundertprozentig das nächste Mal zu Hause lassen. Und das ging auf keinen Fall. Ich würde das schon irgendwie überstehen. Übung machte doch bekanntlich den Meister, oder?!
Also Augen zu und durch.
Vielleicht sollte ich mir ein paar gute Tipps von jemandem holen, der das Ganze gewöhnt war und nicht Bella hieß. Darauf setzte ich all meine Hoffnung.
Ich musste mir jetzt nur noch gut überlegen, wie ich ein Gespräch mit Jake anfing.
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