2 - Tag 1274 meiner glorreichen Existenz
Ich brauche einen Arzt. Dringend. Und das Auto mit den eckigen Rädern. Am besten sofort. Nicht für mich, nein nein. Für meinen Boss.
Es fällt mir zwar schwer das zuzugeben, aber anscheinend verlor die den Verstand. Wurde gaga. Lady Gaga sozusagen. Und mir fiel nichts ein, was ich dagegen tun könnte.
Der Tag begann schon extrem scheiße. Ein nerviges Piepsen holte mich aus meinen angenehmen Träumen. Hatte gerade jemandem die Lichter ausgepustet. War klar, dass ich extrem angepisst war, als ich dann richtig wach wurde.
Das schlimme war – das Bett war leer. Ich lag MUTTERSEELENALLEIN im Bett. Okay, Seth schnarchte auf seiner Decke, aber mein Boss war weg. Fort. Arividerdschi.
Das machte mir Angst. Ehrlich. Denn normalerweise war ich 24 Stunden am Tag in ihrer Nähe. Das hier war ein 24/7 Job. Sie ließ mich einfach nicht zurück. NIEMALS!
Außer heute. Und das war erst der Anfang, es sollte noch viel schlimmer kommen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kam sie endlich zurück. Ohne Maske. Dafür im Hemd. Und mit einem Lächeln auf den Lippen. EINEM LÄCHELN!
Sie lächelte sonst nie!
Also eher selten.
Wenig.
Gut, sie lächelte schon öfters.
Aber nicht so.
Dann legte sie auch noch den Finger an die Lippen und guckte irgendwie.... verträumt...
Ob ihr da was weh tat? Hatte Jake sie mit Herpes infiziert? Bei seinem Frauenverschleiß wäre das ja kein Wunder...
Als nächstes leckte sie sich auch noch über die Lippen. Und schloss kurz die Augen.
Ich begann ernsthaft an ihrem Geisteszustand zu zweifeln. So was hatte sie noch nie getan.
Ehrlich.
Diesmal wirklich.
Danach knuddelte sie erst einmal Seth ordentlich durch. Das tat sie allerdings öfters. Mehrmals täglich. Mich seltener. Was schade war. Allerdings lud ich auch nicht so zum Knuddeln ein, gebe ich ja zu. Bestand ja immerhin die Gefahr sich aus Versehen eine Kugel in den Kopf zu jagen. Was wiederum schade wär'. Ehrlich.
Aber zurück zum eigentlichen Geschehen. Sie legte sich dann ENDLICH das Holster um und ENDLICH kam ich an meinen angestammten, kuschelig warmen Platz.
Es ging dann in die Küche und sie deckte den Tisch für zwei Personen. Wollte sie etwa den Scheißer mit frühstücken lassen? Sie hatte auch immer noch keine Maske auf! Irgendwas lief hier gerade total aus dem Ruder!
Ich fragte Seth, ob der irgendwas mitbekommen hatte, aber der erhielt gerade sein Futter und hatte deshalb keine Zeit für mich. Hmph. Manchmal könnte ich ihn wirklich...
Plötzlich vernahm ich hinter uns Schritte.
Und es passierte nichts.
Gar nichts.
Nothing.
Nada.
Niente.
Ich war fassungslos.
Mein Boss stand mit dem Rücken zu einer Tür – was schon an sich eine völlig kopflose und gefährliche Sache war – und sie tat nichts, als sie Schritte hinter sich hörte.
Das war nicht normal! Vollkommen abwegig! Das war nicht MEIN Mädchen!
Die normale – und vernünftige – Reaktion wäre gewesen, herumzuwirbeln, mich dabei aus dem Holster zu ziehen, mich zu entsichern und in die Richtung des Eindringlings zu zielen. Mit dem Finger am Abzug versteht sich. In unserem Gewerbe heißt es „wer zuerst schießt, lebt länger“.
Aber sie tat nichts. Nicht einmal ihr Herzschlag veränderte sich.
Bumm..... Bumm..... Bumm
Total relaxt.
Normalerweise müsste ihr Puls jetzt bei 180 liegen.
Tat er aber nicht.
Meiner schon.
Dann drehte sie sich auch noch um. Ohne Maske! Ich wollte schreien, aber es klappte nicht – war zu geschockt.
Als wäre es das normalste der Welt, setzte sie sich mit dem Scheißer an den Tisch und frühstückte! Vollkommen fassungslos lauschte ich ihrem Geplänkel.
Irgendwas stimmte nicht mit ihr. Definitiv. Da war was im Kaffee. Halt. Den hatte sie ja getrunken, NACHDEM sie mich schändlich allein gelassen hatte. Ich überlegte krampfhaft, seit wann sie so eigenartig war.
Und dann passierte das Unfassbare: sie nahm mich aus dem Holster, ließ die Munition rausrutschen und reichte mich dem Scheißer! Nackt! Hilflos! Okay, sie stellte Seth als Wache ab, dass mir nichts passierte, aber Himmel Herrgott noch mal, ich war doch kein Stück Vieh, dass man herumreichte.
Das einzig Gute an der ganzen Sache waren seine Hände. Weich. Warm. Seine Finger strichen ehrfürchtig über meinen glatten Stahl. Wäre ich eine Katze, hätte ich bestimmt geschnurrt.
Aber als ich endlich wieder geladen im Holster steckte, atmete ich doch erleichtert auf. Beim Boss war es doch am schönsten.
Nach dem Frühstück kam Jake kurz vorbei, aber er hatte keine Lust mit mir zu plaudern. Naja, er war auch kein Typ, der seine Waffe ständig mit sich herumtrug. Nur zu Einsätzen. Ich mochte ihn trotzdem... irgendwie...
Als mein Boss dann sagte, sie wolle mit dem Scheißer spielen gehen, hatte ich schon die Hoffnung, sie wäre wieder ganz die Alte. War sie für ein paar Minuten dann auch. Sie zeigte ihm, wo der Hase lang läuft. Habe die ganze Zeit gelacht. Als ob er jemals eine Chance gehabt hätte seine Finger an mich zu legen. Also, wenn es der Boss nicht wollte.
Wobei mir ihre Risikobereitschaft nicht wirklich gefiel. Gut, die Chance stand eins zu einer Million oder so, dass er an mich herankam. Ich hatte schließlich mein Mädchen schon kämpfen sehen und wusste, dass der Scheißer auf so was bestimmt nicht gefasst war.
Meinetwegen hätte der kleine Kampf ruhig ein wenig länger dauern können. Und sie hätte ihm auch richtig wehtun können. Sie war doch Arzt, also kein Problem mit der schnellen Wundversorgung. Aber stattdessen spielte sie wirklich mit ihm. Beschränkte sich – bis auf die Würfe – auf das Abwehren seiner Angriffe. Kam ja nicht mal aus der Puste, die Gute! Während ihr Gegenüber langsam aber sicher müde wurde. Und sie ihn mit einem finalen Wurf zu Boden beförderte.
Und sich dann auf ihn drauf setzte. Hätte nur noch gefehlt, dass sie die Faust in die Luft hielt. So ich-werde-triumphieren-mäßig.
Allerdings ging danach wieder alles schief. Sie entmannte mich wieder und schob mich in Richtung Tür. Weg von ihr! Zum zweiten Mal an diesem Tag! Mein kleines Herz brach entzwei. Anscheinend liebte sie mich nicht mehr. Aber ich hatte auch keine andere Waffe in ihrer Nähe gesehen. Warum schob sie mich also ab?
WAS HABE ICH FALSCH GEMACHT?
Ich schmollte vor mich hin und wollte gar nicht wissen, was sie OHNE mich tat. Pah!
Plötzlich nahm sie mich wieder auf und schob mich zurück ins Holster, nachdem sie mich wieder geladen hatte.
Also ehrlich, heute bekam ich von ihren Launen wirklich ein Schleudertrauma.
Alleine lassen.
Ins Holster.
Dem Scheißer reichen.
Ins Holster.
Von sich wegschieben.
Zurück ins Holster.
Wenn das so weiterging, würde ich beim nächsten Schusswechsel einfach mal klemmen. Soll sie doch sehen, wie sie dann zurechtkommt.
Wobei... es wäre natürlich schade, wenn ihr etwas passieren würde...und bei richtigen Schießereien nahm sie meistens die Glocks, die waren nunmal schneller, aber um jemanden aus 40 Metern Entfernung die Birne wegzupusten, da nahm sie nur mich. Und ich war auch der einzige, der mit in ihr Bett durfte.
Hach, war das kompliziert.
Während ich so grübelte, erzählte mein Boss dem Scheißer ein wenig von unserem Leben. Es war wirklich immer wieder lustig, das Gesicht eines Kerles vor sich zu haben, der eben noch auf Sex hoffte oder – wenn sie richtig gute Laune hatte – gerade welchen gehabt hatte. Meist weiteten sich die Augen vor Entsetzen, wenn ihnen der Ernst der Lage bewusst wurde. Und dann schluckten sie und ihr Adamsapfel tanzte dabei so schön auf und ab.
Einmal hatten wir auch einen, der sich aus Angst in die Hosen gepinkelt hatte.
Doch seit sich mein Boss im letzten Jahr das Tattoo auf ihrem Unterarm hatte stechen lassen, wurden die Einsätze weniger. Sie trug zwar neben der obligatorischen Perücke und den farbigen Kontaktlinsen dann auch Seidenhandschuhe, aber dem Grande Cheffe war das Risiko wohl zu hoch.
Naja, es gab auch andere Möglichkeiten Spaß zu haben.
Ich muss eine ganze Weile unaufmerksam gewesen sein, denn plötzlich befanden wir uns in unserem Heiligtum. Und wenn ich wir sage, meine ich leider auch den Hosenscheißer.
Sie zeigte ihm tatsächlich alle meine Brüder und Schwestern! Er durfte sie sogar anfassen! Ihre Babies! Jedem anderen hätte sie die Hand gebrochen – tatsächlich hat sie mal einem vorwitzigen Kerl, der ihre Light Fifty begrabschen wollte, einen Finger gebrochen – und ihm zeigte sie alles, gab ihm eine nach der anderen in die Hand.
Was war nur los mit ihr? Wieso verhielt sie sich so anders dem Typen gegenüber?
Mo....mochte sie ihn etwa?
Nee.
Was für ein abstruser Gedanke.
Aber genau das sprach sie aus.
Verfickte Scheiße!
MEIN BOSS MOCHTE DEN SCHEISSER!
Das ging nicht! Das war grundsätzlich verkehrt und ein Ding der Unmöglichkeit! Mein Boss war kalt und unberechenbar, und mochte niemanden.
Okay, Jake vielleicht.
Und Seth, sehr wahrscheinlich.
Und mich, ganz bestimmt.
Scheiße!
Sie war ja bloß ein hormongesteuerter Mensch!
Was wenn sie anfangen würde ihn ernsthaft zu mögen? Woran erkannte man sowas?
Ich kannte mich doch mit dem Menschenkram nicht aus!
Als sie ihn dann auch noch schießen ließ... erst mit der PSG 1 und dann …. drückte sie ihm tatsächlich meine Wenigkeit in die Hand...
Allerdings hatte ich heute schon so viel durchgemacht, dass mich das nicht mehr wirklich erschüttern konnte.
Und verdammt, seine Hände fühlten sich gut an. Scheiße, ich mutierte noch zum Weichei. Warmduscher. Schattenparker. Strohsternbastler. Zu einer gottverdammten Schwuchtel.
Und er schoss nicht mal schlecht. Ich glaube die meisten Leute in unserem Verein hätten die Zielscheibe in 50 Metern nicht einmal getroffen. Und er traf sogar den Oberkörper.
Mhmm. Wenn der Boss ihn mochte, könnte man ihn ja vielleicht adoptieren. Potential hatte er ja anscheinend.
Gott sei Dank hatte mein Tag wenigstens noch einen befriedigend Abschluss.
MEIN BOSS SCHOSS MIT MIR!
Zwar nur auf eine Zielscheibe, aber immerhin.
Und sie leerte das Magazin.
Und zeigte dem Scheißer, was richtig schießen heißt – über zehn Jahre intensives Training machen sich eben bemerkbar.
Naja vielleicht konnte das mit dem Doktor auch noch warten.
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