Samstag, 5. November 2011

SML - 63 - tick tack tock

63 tick tack tock

Die von Bella angekündigte Vorbereitungszeit, verging schneller als angenommen.

Schon zwei Tage nach dem Familien-Gespräch brachen Ahab, Lucie, und ein paar Jungs als Begleitung, nach Kanada auf. Ich wusste nicht genau, wie sie dorthin kommen wollten. Oder wie sie die Waffen transportieren sollten. Aber es war ja auch nicht wirklich wichtig für mich, darüber Bescheid zu wissen. Wichtig war ausschließlich, dass sie heil zurückkommen würden. Nur das zählte für mich.

Denn irgendwie machte ich mir ja schon Gedanken, wie es den beiden dort ergehen würde und auch, was wohl das Rauhbein Ahab als Begleitung von Lucie, so durchmachen würde. Ich hoffte einfach auf das Beste.

Bella und Sally hatten sich, am Tag vor der Abreise, einige Stunden lang mit ihr und später auch mit Ahab zusammengesetzt. Wobei es bei dem Gespräch mit ihm wohl um das Organisatorische ging, während bei Lucie eher die sprachlichen Voraussetzungen überprüft wurden. Ich nahm auch an, dass ihre Schwester Sally immer noch versuchte, Lucie davon abzuhalten mitzufahren.

Da aber bei dem hitzigen Gespräch, von dem ich leider das meiste nicht verstand, da es nun mal auf Französisch geführt wurde, von Sally öfter mal ein „Oh mon dieu“ zu hören war, und sie teilweise etwas rot anlief, schien es nicht in ihrem Sinne zu verlaufen. Ganz und gar nicht in ihrem Sinne. Denn Bella lachte herzlich und schüttelte manchmal einfach nur den Kopf.

Zu gern hätte ich verstanden, über was die drei genau sprachen, aber leider reichte dazu mein eher schlechtes Französisch nicht aus. Außer, dass es sich wohl bei den meisten Wörter, die Lucie so von sich gab, um Schimpfwörter handeln musste.

Was ich ebenfalls nicht verstand, war der böse Blick, der ihr von Cookie zugeworfen wurde, als diese dutzende Tüten aus der Küche in Richtung der Nachtquartiere schleppte. Hatte ich da was verpasst? Aber mir erzählte ja eh niemand etwas.

Der Abschied am nächsten Tag war herzlich und Sally versuchte krampfhaft, sich die Tränen zu verkneifen. Lucie wurde rumgereicht und von allen fest umarmt, während Ahab sich in dem Moment geschickt im Hintergrund hielt und sich dann lediglich aufs Winken beschränkte. Anscheinend hatte er vom letzten Mal noch genug.

Es war eine eigenartige Stimmung, als die Truppe weg war. Denn natürlich hatte jeder ernsthaft Angst, dass sie nicht gesund wiederkehren würden. Aber auch ich, wie alle anderen auch, versuchte, mir nichts anmerken zu lassen und es irgendwie zu unterdrücken. Aber als ich sah, dass Bella Sally, die immer noch sichtlich mit den Tränen kämpfte, tröstend in den Arm nahm, ließ auch ich meinen Gefühlen freien Lauf.

Obwohl mir Lucie nicht so viel bedeutete, ich kannte sie ja kaum, war es mir auch nicht einerlei, dass sie sich gerade so für uns alle derart in Gefahr brachte. Denn irgendwie mochte ich sie ja auch. Bella hatte schon Recht, sie gehörte eben zur Familie. Und seine Familie wollte doch jeder beschützen. Ich wollte wirklich nicht erleben, was hier passieren würde, wenn sie diese Mission nicht überleben würde.

Deshalb konnte ich auch gut verstehen, dass Sally unbedingt Ahab als Begleitung für ihre Schwester haben wollte, auch wenn der nicht besonders begeistert darüber gewesen war. Er war aber für sie, die allerbeste Chance, da lebend raus zukommen. Auch wenn er noch versucht hatte, es Bella auszureden und sie ihn nochmals bitten musste, es doch zu tun, ehe er sich endlich dazu bereit erklärte. Aber er war durch und durch ein Profi. Sobald sie unterwegs waren, würde er sie mit seinem Leben beschützen. Und davon, dass er das gut konnte, hatte ich mich ja schon selber überzeugen können.

Dabei würde es sicher kein Spaziergang werden. Wenn das alles so stimmte, was Bella erzählt hatte, würden sie dort nicht gerade freundlich begrüßt werden und mit Sicherheit würde Ahabs Waffe des Öfteren zum Einsatz kommen, wenn auch manchmal nur zur Demonstration von Stärke.

Und wir konnten nur abwarten und hoffen, dass dabei alles gut gehen würde.

In den folgenden Tagen kam ich aber nicht wirklich viel zum Nachdenken. Jedenfalls tagsüber. Bella flog mit mir jeden Tag in das erwähnte, andere Versteck und zeigte mir dort jeden kleinen Winkel.

Es war in einem kleinen Industriegebiet, das wohl schon einige Jahre leer stand. Nichts Besonderes eigentlich, aber ich vermutete, dass Bella es wegen der Lage ausgesucht hatte. Denn drum herum gab es nichts. So wie... rein gar nichts. Keinen einzigen Baum, höchstens mal ein paar vereinzelte, niedrige Büsche, die nicht gerade zum Verstecken geeignet waren. Egal was, oder wer, sich nähern wollte, unbemerkt konnte das hier nicht geschehen.

Auf meine Nachfrage, was dort mal gemacht worden war und warum die Vegetation in einem Umkreis von gut zehn Kilometern so aussah, wie sie jetzt aussah, lächelte mich meine Frau nur an und meinte, dass ich das lieber nicht wissen wollte. Wollte ich dann auch nicht mehr wirklich. Obwohl ich mich schon fragte, ob es irgendwo da draußen irgendein Leben gab. So Maulwürfe oder Mäuse. Sicherlich nicht.

Das Gebiet selber, war von einer etwa drei Meter hohen Mauer umgeben, auf der Stacheldrahtrollen befestigt waren. Es gab nur ein Tor und das schien aus massivem Stahl gefertigt zu sein. Im Inneren befanden sich mehrere barackenförmige Gebäude, die gleichmäßig um das Herzstück der Anlage verteilt waren. Drei zehnstöckige Bürogebäude, die als Dreieck angeordnet waren.

Verbunden waren alle Gebäude durch eine Plattform auf der neunten Etage, dessen Dach Bella einfach als Hubschrauberlandeplatz benutze. Als ich sie fragte, ob das denn überhaupt ginge, wegen der Last und so, der Hubschrauber wog ja schließlich nicht gerade wenig, meinte sie nur irgendetwas von „Statik ist Aberglaube, Hauptsache der Heli steht geschützt“.

Und das war er dort. Das Dach war, vermutlich aus architektonischen Gründen, auf allen Seiten vier Meter hoch verkleidet, so dass er dahinter nicht zu sehen war. Perfekt.

Aber irgendwie kam man sich vor, wie in einem Hochsicherheitstrakt. Eigentlich interessierte mich schon, wie Bella an so ein Gelände gekommen war, aber ich fragte sie nicht weiter. Nach meiner laienhaften Meinung, schien es gut für unseren Zweck geeignet zu sein. Man konnte es nicht gleich einnehmen und wenn man auf den Bürogebäuden stand, hatte man alles ringsherum im Griff.

Mit der Meinung stand ich aber wohl ziemlich alleine da, denn Bella schien gar nicht zufrieden zu sein. Mit Jake plante sie mehrere Ringe aus Sprengfallen rings um das Gelände, und mit Sally ging sie die strategisch günstigen Stellungen für die Scharfschützen durch. Dazu wurden auf den Dächern verschiedene Teile aufgebaut, hinter denen man sich verstecken, beziehungsweise auf denen man liegen konnte. Ich verstand von dem ganzen nicht wirklich etwas, aber Bella schleppte mich überall mit hin. Nach ein paar Tagen kannte ich das abgetrennte Gelände und alles drum herum in- und auswendig. Aber ich vermutete, dass genau das auch das Ziel der ganzen Aktion gewesen war.

Wenn wir jeden Tag dorthin flogen, transportierten wir jedes Mal Unmengen an Waffen und Munition mit dorthin, so dass ich mich manchmal fragte, warum sie eigentlich noch mehr davon brauchte. Als dieser Gedanke, dass es ja fast so aussah, als wolle sie in den Krieg ziehen, in mir hochkam, fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

Denn es war Krieg.

Und wir waren mitten drin.

Und Bella rechnete mit dem Schlimmsten.

Mir fiel es wohl immer noch schwer, den Ernst der Lage zu begreifen. Es war einfach alles so unwirklich. Und obwohl ich nun schon einiges mit ihr mitgemacht hatte und mir die Kugeln manchmal nur so um die Ohren geflogen waren, war mein Verstand einfach doch noch nicht so weit, die Tragweite des Ganzen zu begreifen. Vielleicht würde er das auch nie sein.

In meinen Augen war meine Frau eine Art Superheldin. Unbesiegbar. Auch wenn ich sie, in der Vergangenheit, schon hatte straucheln sehen, hatte sie sich doch immer wieder aufgerappelt und war jedes Mal stärker als zuvor gewesen. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass ihr etwas passieren oder sie gar sterben könnte. Eigentlich wollte ich es auch nicht. Nicht nochmal.

Und es hieß ja auch immer, man solle sich der Gefahr bewusst sein, sich vor Augen halten, was passieren kann. Den Moment auskosten, denn es könnte der letzte sein.

„Lebe jeden Tag so, als wäre es dein Letzter“, hatte auch Bella zu mir gesagt, als ich sie mal gefragt hatte, wie sie mit der ganzen Situation so scheinbar leicht umging. Dabei war ihr mehr als bewusst, dass es schief gehen könnte. Dass es unser gemeinsames Grab werden könnte. Deshalb hielt sie auch die anderen komplett davon fern. Sie sahen nichts von den Ladungen, die der Helikopter immer wieder rüber flog, kannten nicht die Pläne, wussten nicht, wo Sprengfallen, Tretmienen und ähnliches vermerkt waren. Sie wussten natürlich, dass es gefährlich werden würde, aber über das ganze Ausmaß, wussten sie nicht Bescheid.

Trotzdem wurde die merkwürdige Stimmung von Tag zu Tag schwieriger und unangenehmer. Es lag etwas in der Luft, aber niemand sprach es an.

Es war die Summe aller kleinen Dinge, an denen man die Spannung bemerkte. Nicht, dass es Streit gab, aber irgendwie war diese unbeschwerte Unwissenheit, dieses 'in den Tag hinein leben“ abhanden gekommen. Die Seifenblase, die unsere kleine, heile Welt umgab, zeigte erste Risse und ich hatte ehrlich Angst, dass sie demnächst platzen könnte und alles in einem Scherbenhaufen endete.

Es war gut möglich, dass wir so ein nahezu sorgenfreies Leben – wenn man jetzt mal die Rachepläne, die ja ständig dagewesen waren, ignorierte – nie wieder führen würden. Vor allem nicht in dieser Zusammenstellung. Alle hier waren mir ans Herz gewachsen und alleine die Vorstellung, dass einer davon verletzt oder gar getötet werden könnte, ließ mein Herz schwer werden. Aber wir waren alle keine unbesiegbaren Superhelden, sondern Menschen aus Fleisch und Blut.

Verletzlich.

Sterblich.

Vergänglich.

Wie gern wäre ich jetzt einer dieser unbesiegbaren Vampire aus den Filmen, die Bella so liebte. Ich würde diesen Aro liebend gern für sie mit bloßer Hand zerquetschen.

Aber ich war leider kein Held.

Eher ein Waschlappen.

Vermutlich würde ich beim 'Endkampf' nur schmückendes Beiwerk sein, denn Bella würde mich sicherlich nicht rumballern lassen. Jedenfalls solange es nicht unbedingt notwendig war. Irgendwie war es bei uns ein wenig verdreht, normalerweise standen meist die Frauen im Schatten ihrer Männer. Sie wurden von ihnen beschützt und behütet. Nicht umgekehrt.

Meine Frau brauchte keinen Schutz. Sie konnte ganz gut auf sich selbst aufpassen. Und auf mich gleich mit.

Normalerweise machte mir das nicht so viel aus, aber jetzt würde ich doch gerne an ihrer Seite stehen, ihr helfen und nicht nur der Idiot sein, der drum herum hopste. Doch innerhalb von ein paar Tagen, würde aus mir sicher keine Hochpräzisionskampfmaschine mehr werden. Und eigentlich wollte ich das auch nicht sein. Ehrlich gesagt, war ich mir nicht einmal sicher, ob ich einfach so, auf jemanden schießen könnte. Bisher hatte ich das ja nie gebraucht. Irgendeiner hatte das immer für mich erledigt.

Das erste Mal im Leben hatte ich einfach nur Angst und eigentlich niemanden, mit dem ich darüber reden konnte. Oder wollte. Die anderen waren teilweise auch zu sehr mit sich selber beschäftigt, was ich aber niemandem verdenken konnte.

Sally tigerte jeden Abend, unter den wachsamen Augen von Jake, nervös hin und her, bis endlich der erlösende Anruf kam, dass bei ihrer Schwester alles glatt gelaufen war. Aber auch die Anderen entspannten sich danach immer etwas. Aber eben nicht zu einhundert Prozent.

Rosalie und Emmett saßen oft ziemlich nachdenklich zusammen und auch meine kleine Schwester war ungewöhnlich still. Bei den Mahlzeiten wurde weniger gesprochen, Scherze gab es eigentlich gar nicht mehr. Die Ungewissheit, was in der Zukunft mit uns passieren würde, hatte zu sehr von uns Besitz ergriffen.

Bella und Jake gingen weiterhin stur, dutzende Szenarien durch. Was passieren könnte...womit zu rechnen war. Und natürlich, wie man dann dagegen halten konnte.

Ich hatte den Eindruck, dass Bella mit dem Schlimmsten rechnete. Dass es eine derartige Übermacht sein würde, der sie nichts entgegen zu setzen hätte. Trotz der strategisch besseren Lage. Sie machte sich weniger Gedanken, um eine mögliche Feier nach dem Sieg, sondern eher, wie sie so viele wie möglich mit in den Tod nahm. Mir wurde immer ganz anders bei den Gesprächen, die sie mit Jake führte.

Es wurde für mich auch sehr schnell deutlich, dass sie im Falle einer Niederlage, dafür sorgen würde, dass ich trotzdem da heil raus kommen würde. Auch gegen meinen Willen. Ahab konnte den Heli ebenfalls fliegen und sie würde ihn einfach instruieren, mich im Notfall herauszubringen. Als ich sie fragte, warum sie dann nicht mitkommen wolle, erklärte sie mir, dass der Heli ein wenig Deckung bräuchte, sonst würde ich nicht weit kommen. Ich konnte mir zwar schwerlich vorstellen, dass Ahab darauf so ohne weiteres eingehen würde, aber Befehl war halt Befehl. Sicherlich würde er mich weiter entfernt absetzen und dann, ohne zu Zögern, zum Geschehen zurückkehren.

In meinen Kopf liefen wahre Horrorszenarien ab. Ahab, der mich zum Heli schleppte, während Jake, Sally und Bella versuchten, uns zu schützen. Wobei Jake den Part mit Sally nie zulassen würde.

Die zwei führten ebenfalls endlose Diskussionen darüber, ob Sally überhaupt mitkommen sollte. Jake war natürlich dagegen, aber Sally ließ nicht mit sich reden. Da war die Verwandtschaft zwischen ihr und Lucie wirklich sehr deutlich zu erkennen. Sie war stur wie ein Esel. Oder wie Bella. Da nahmen sie sich wirklich nicht viel.

Die Einzige, die davon Gott sei Dank nicht allzu viel mitbekam, war Jenny. Natürlich spürte sie die Unruhe bis zu einem gewissen Grad, aber da sich alle bemühten, ihr gegenüber ganz normal zu sein, war ihr nichts anzumerken. Jedenfalls in den meisten Momenten. Aber es gab auch diese Augenblicke, wenn sie bei Bella auf dem Schoß saß und sie kuschelten, wo sich die beiden ganz still und eigenartig ansahen.

Ich konnte nichts weiter tun, als zu hoffen, dass alles gut gehen würde.


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