59 nothing but the truth
Einen Moment lang herrschte gespenstische Stille, die nur von einem geschnieften „Saaally“ unterbrochen wurde.
Lucie liefen mittlerweile die Tränen über die Wangen und ihre Hände schienen sich noch fester in Ahabs Arm zu verkrampfen. Was ihn aber nicht im Geringsten zu stören schien, denn er löste sich auch nicht wirklich von ihr. Es wirkte sogar fast ein wenig so, als würde er sie stützen.
„Mon bien-aimée“, Sally streifte mit einer Bewegung ihre Waffe ab und reichte sie Jasper, ehe sie sich langsam und mit nach vorne ausgestreckten Händen, ihrer kleinen Schwester näherte. „Es w‘ird dir niemond et'was t'un, bleib ganz ru'ig, ok'ay?“
Lucie sagte nichts mehr, sondern wischte sich die Tränen ab, schluchzte nur noch ab und an auf und sah sie einfach fragend, aus großen Augen, an. Sie wirkte wie ein erschrecktes Reh im Scheinwerferlicht. Es war nichts mehr von dem Wildfang übrig, der sich gerade heftig gegen Ahab zur Wehr gesetzt hatte. Und vorher todesmutig um ihr Leben gerannt war. Ein einziger Blick auf ihre Schwester hatte all das ins Gegenteil verkehrt.
Sally tat mir wirklich leid. Es würde sicher nicht leicht werden, Lucie das alles hier logisch und wahrheitsgetreu zu erklären. So ein wenig konnte ich mich auch in sie hinein versetzten und gut verstehen, wie das alles auf sie wirken musste. Ich nahm an, sie hatte vorher auch noch nie in ihrem Leben mit so etwas in der Richtung auch nur Ansatzweise zu tun gehabt. Es musste äußerst schockierend sein, festzustellen, dass die eigene Schwester einen, über ihr gesamtes bisheriges Leben, belogen hatte. Und das diese sich seit Jahren in einem Metier bewegte, was verdammt verängstigend wirken konnte und es definitiv auch war. Ich sprach da aus Erfahrung.
„Verdammt“, zischte Jake plötzlich, „wir bekommen Ärger“, er deutete auf etwas hinter mir und Bella begann, lautlos zu fluchen.
„Wir müssen los, Sally. Sofort! Das hier muss jetzt leider schnell gehen, ansonsten reißen die uns doch noch den Arsch auf“, sie wirkte wirklich sehr ernst. Und wenn das der Fall war, hieß das nichts Gutes. Sie sah kurz zu Ahab und nickte ihm zu.
Eine Sekunde später, hatte er sich die zurzeit völlig teilnahmslose Lucie schon mühelos über die Schulter geworfen und sprintete förmlich in Richtung des Autos. Wir anderen folgten ihm umgehend. Was auch nicht verkehrt war, denn es näherten sich schnell und von einer riesigen Staubwolke begleitet, mehrere feindliche Fahrzeuge.
Innerhalb einer halben Minute waren wir deshalb allesamt im Auto und Jake fuhr, wie ein Henker, mit hoher Geschwindigkeit quer durch die Pampa. Jasper saß dieses Mal vorne zwischen Bella und Jake, während Sally und Lucie hinten, zwischen Ahab und mir saßen.
Sally hatte schon zwischenzeitlich versucht, tröstend die Hand ihrer Schwester zu nehmen, doch diese war davor zurück gezuckt. Allerdings wirkte ihr Blick jetzt schon weniger ängstlich, sondern fast ein wenig wütend.
„Sal“, sagte Lucie, mit eigenartig belegter Stimme, „Was ist das alles hier? Was hat das zu bedeuten? Vor drei Tagen kamen wie aus dem Nichts, ein paar dunkel gekleidete Kerle in mein Apartment gestürmt und haben mich einfach betäubt und verschleppt. Als ich wieder zu mir kam, war ich mittlerweile auf einem anderen Kontinent. Und keiner von den Ärschen hat mir gesagt, um was es ging, oder wo sie mich hinbringen wollten. Ich habe die ganze Zeit darauf gewartet, dass irgendwann einer von der versteckten Kamera oder so, aus dem Gebüsch hopst. Aber nichts dergleichen war“, sie verschränkte die Arme, „Weißt du, ich hielt das ganze schon für eine üble Verwechslung... davon hört man ja… bis ich dann plötzlich dich sah...also, kannst du mir die ganze Scheiße hier mal BITTE erklären?“
Oha. Ja, das klang wohl eher wütend. Anscheinend hatte sie jetzt den ersten Schockzustand hinter sich gelassen und war wieder auf kleine Wildkatze gepolt.
„Lucie, chérie“, kam es ungewohnt sanft von Sally, „du mu'sst mir glau'ben, wenn isch sa'ge, isch 'ab nicht gewo'llt, dass es so kommt. Du soll'test das alles nie erfa'ren, was isch so tue...“
„Und was tust du so genau den lieben, langen Tag? Banken überfallen? Leute abknallen? Ein bisschen Krieg spielen? Oder ist das hier nur 'ne ziemlich realistische Variante von Paintball für Fortgeschrittene?“, unterbrach Lucie ihr Schwester gereizt.
„Qui“, seufzte Sally, „isch meine... non... non, es war nischt ge'spielt, es war leid'er Ernst. Wir muss'ten disch da raus'olen, sonst 'ätten sie dir vielleischt was ange'tan...“
„Aber wie zum Teufel kam es dazu?“, wurde sie erneut unterbrochen, „War es wegen dir? Warum machst du so was eigentlich? Ich hab dich immer bewundert und jetzt muss ich so erfahren, dass du als Killerin in der Gegend rum rennst. Das ist... das ist... ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll“, sie schlug sich die Hände vor das Gesicht und schüttelte ungläubig den Kopf. Und auch wenn sie grad richtig giftig war, tat mir trotzdem ein wenig Leid. Ich hatte im Gegensatz dazu, wenigstens noch ein klein bisschen mehr Zeit gehabt, mich an die ganze Sache zu gewöhnen. Lucie dagegen, landete gleich mitten im Geschehen. Eigentlich war es ein Wunder, dass sie jetzt annähernd gefasst reagierte.
„Chouchou“, Sally legte ihre Hand vorsichtig auf Lucies Kopf und diesmal ließ sie es geschehen. „Es tu't mir leid, isch wollte dir das all'es er'sparen, aber es gibt da Ding'e, die du vielleischt wiss'en soll'test...“
Lucie nahm langsam ihre Hände vom Gesicht und sah ihre Schwester ernst an. „Was für Dinge?“
Ok. Jetzt ging es ans Eingemachte…und es war mir tatsächlich ein wenig unangenehm, so offen daneben zu sitzen, wenn die Beiden sich endlich aussprachen. Sicherlich würde es gleich auch um private Sachen gehen und es war ja so gut wie unmöglich, nicht hin zu hören. Aber sicherlich waren Zuhörer gerade die geringste Sorge der Beiden. Auch Ahab schien das Ganze nicht als sehr angenehm zu empfinden, denn er starrte die ganze Zeit unbeweglich aus dem Fenster, seine Arme fest vor der Brust verschränkt. Ich tat es ihm gleich und musste direkt zweimal hinsehen. An seinem Kinn hatte sich ein leicht bläulicher Schatten gebildet. War das etwa die Stelle, wo Lucie ihn getroffen hatte? Meine Güte, dann hatte die Kleine aber eine harte Rechte…
„Es ge’t um Papa…“, hauchte Sally fast unhörbar.
„Papa? Was hat denn bitte Papa mit all dem hier zu tun? Der ist doch außerdem seit über fünfzehn Jahren tot“, entgegnete Lucie und zog nachdenklich die Stirn kraus.
„Chérie, du musst jetzt se’r stark sein…er ist nischt bei ei’nem Au’tounfall ge’storben, er ist er’schossen worden“, wieder nur ein Flüstern. Danach Stille. Aber nur einen kurzen Augenblick.
„Bitte WAAS?“, Lucies Augen wurden riesengroß. „Erschossen? Papa? Warum denn das? Und vom wem? DU willst mich doch verarschen!“
„Er ’at derselb’en Grupp’e ange’ört, zu der isch jetzt au’ch ge’öre...“, Sally sprach immer noch sehr leise, so als fürchtete sie sich vor der Reaktion ihrer Schwester.
„Halt, halt! Was denn für eine Gruppe? Irgendeine kriminelle Bande oder was? Willst du mir erklären, dass unser Vater ein... ein Gangster war? So mit Schlapphut und Pistole? Hör auf, Sal, unser Vater war ein stinklangweiliger Buchhalter. Maman macht sich doch jetzt noch manchmal darüber lustig, wie staubtrocken er war“, sie schüttelte ungläubig den Kopf.
„Er war ja au’ch ein Buch’alter, nur eb’en nischt für eine lega’le Organi’sation, sondern für die Volturi. Und das w’ar sein Fe’ler…er ‘at es nur zu spät er‘kannt“, gab Sally leise zurück.
„Heilige Scheiße. DIE Volturi? Sind die nicht international ganz groß im Geschäft was so Drogen, Menschenhandel und Erpressung angeht?“, Lucies Stimme überschlug sich fast vor Aufregung.
Sally biss sich auf die Lippen und nickte langsam. Man sah ihr förmlich an, wie schwer es ihr fiel, die heile Welt ihrer kleinen Schwester mit einem Nicken zum Einsturz zu bringen. Wie sagte man auch einem Menschen, den man liebt – und so wie sie mit ihr umging, liebte sie ihre kleine Schwester abgöttisch – dass alles, an was sie bisher geglaubt hatte, gelogen war? War es nicht auch grausam, dass alles dann doch noch ans Tageslicht zu bringen? Es war jetzt unumgänglich, aber ich konnte Sally auch gut verstehen, dass sie versucht hatte, ihre Schwester aus allem raus zu halten. Ich würde dasselbe tun.
Ich musste dasselbe tun. Denn wenn Jenny irgendeinmal alt genug war, um die ganze Tragweite dessen, was ihre Mutter so tat, oder getan hatte, zu verstehen, dann würde ich sie auch davor schützen wollen. Auf gar keinen Fall sollte sie direkt etwas davon mitbekommen. Was sicherlich schwierig werden wird, aber nicht unmöglich. Und ich war mir sicher, dass Bella das genauso sah.
Nie im Leben wollte ich so ein Gespräch mit meiner Tochter führen müssen. Ihr erklären müssen, wieviel fremdes Blut, an den Händen ihrer Eltern klebte. Allein bei dem Gedanken daran, zog sich mein Herz schmerzlich zusammen. Deshalb konnte ich mich wirklich gut in Sally hinein versetzen. Sie hatte hundertprozentig eine Heidenangst davor, dass Lucie sich für immer von ihr abwenden würde, wenn sie jetzt die Wahrheit erfuhr.
Auch war mir aufgefallen, und darüber hatte ich mich schon die ganze Zeit gewundert, dass Lucie gar keinen französischen Akzent wie ihre Schwester hatte. Nicht einen Hauch. Waren die beiden etwa getrennt aufgewachsen? Und Lucie wohl dann eben nicht in Frankreich, wie mir schien.
„Oh... okay“, kam es nun ebenso leise von Lucie. „Aber selbst wenn es so wäre, verstehe ich nicht, was das alles mit dir zu tun hat. Wenn es doch ein Fehler war, warum bist du denn jetzt auch bei denen? Und deshalb bist du auch damals nicht mit Maman und mir nach Dublin gekommen, hab ich Recht? Nur, was soll das Ganze jetzt? Warum bin ICH jetzt hier? Was wollten die von mir?“
„Qui“, seufzte ihre Schwester, „Du ’ast Rec’ht, aber isch war da’bei... als... als Papa erschoss’en wurde.... isch... isch wollte Rache ne’hmen…auc‘h in dein‘em Namen“, ihre Stimme hörte sich an, als wäre sie den Tränen nah, „Des’alb bin isch in Paris geblieb’en und nischt mit dir und Maman gegang’en...einer muss‘te es tun…“
„Oh mein Gott“, entfuhr es Lucie und sie schlug sich entsetzt die Hand vor den Mund. „Du... du hast es gesehen? Und wolltest ihn dann rächen?“
Sally nickte seufzend. „Sie 'aben mich absicht'lisch leb'en lass'en, dam'it isch eine Nach'rischt überbring'en konnt'e. Isch war so wüt'end dam'als. Und isch muss'te schweig'en... durfte dir nischst sag'en... und mein ein'tige Ge'danke war Rache...“
„Aber Sal“, jetzt legte Lucie ihre Hände an Sallys Gesicht, „du warst damals erst siebzehn. Wie konntest du da an Rache denken, anstatt mit deiner Familie zu gehen? Ich... ich habe geglaubt, du bist nicht mitgekommen, weil du mir die Schuld an seinem Tod gegeben hast, weil er für mich die bestellte Geburtstagstorte abholen wollte. Ich dachte die ganze Zeit über, dass du mich nicht mehr lieb hast. Du hast dich ja auch all die Jahre nie bei uns blicken lassen, nur immer Karten zu Weihnachten und zum Geburtstag geschickt. Gut, Maman hat ab und an mit dir telefoniert, hat aber auf Nachfrage immer zu mir gesagt, dass du mich nicht sprechen willst. Was soll ich da anderes annehmen? Voller Stolz hat sie mir immer nur die Fotos gezeigt, die du ihr geschickt hast. Ihre große, erfolgreiche Tochter. Ich habe mich mein Leben lang, wie das fünfte Rad am Wagen gefühlt. Für Maman gab es immer nur dich, was ich so mache hat sie nie interessiert. Dass ich es nie länger als ein paar Monate an irgendeiner Schule ausgehalten habe, war ihr egal. Zum Schluss hat sie mich einfach in ein Internat gesteckt. Da sie dort gut bezahlte, konnten sie mich da nicht wieder rauswerfen. Ich lief mein Leben lang nur nebenher, wie ein räudiger Hund, dem man ab und zu etwas zu fressen hinwirft…“
„Chouchoe, ma petite chouchou“, jetzt schienen bei Sally wirklich die Tränen zu laufen und sie schloss ihre Schwester tröstend in die Arme. „Isch ’abe jeden ver’dammten Tag an disch ged’acht, aber isch konnt’e nischt mit dir telefonieren, es ’ätte mir das ’erz gebroch’en. Es war so schon schwer, nischt einf’ach ’inter’er zu kommen. Ver’ste‘ bitte, isch wollt’e erst mein’e Rache voll’enden, aber selbst dann war isch im’mer noch ru’elos...bis isch Jake ge’troffen ‘ab“, die beiden wechselten einen tiefen Blick.
Vom Vordersitz war ein lautes Schneuzen zu hören und ich blickte zu Jasper, der verdächtig den Kopf gesenkt hielt. War ja klar, dass so was an ihm nicht spurlos vorbeilief.
„Meine Fresse“, kam es plötzlich laut von Lucie und ich wunderte mich nicht zum ersten Mal über ihre nicht sehr mädchenhafte Wortwahl, die so völlig gegensätzlich zu Sallys Akzent und ihrer Art zu sprechen war. „Das ist jetzt aber wirklich alles etwas heftig. Vor allem auf nüchternen Magen. Ich glaube, ich brauch jetzt erst mal was für meine Nerven. Ihr habt nicht zufällig irgendwas Süßes dabei? Schokolade vielleicht, oder ein paar Kekse?“
Sie löste sich aus Sallys Umarmung und sah sie fragend an, aber ihre Schwester schüttelte verneinend den Kopf.
„Verd....“, begann Lucie, als sie plötzlich von Ahab unterbrochen wurde, der nur ein knappes „Hier“, murmelte und ihr, ohne sie direkt anzusehen, einen Lutscher vor die Nase hielt.
Völlig verdattert sah ich zu Ahab. Er war wirklich immer für eine Überraschung gut.
„Ein Tootsie Pop! Danke!“, strahlend nahm Lucie ihm den Lutscher ab, wickelte ihn sofort aus und steckte ihn sich leise stöhnend in den Mund. „Schon viel besser!“
Sie drehte sich zu ihm um und rutschte dabei etwas näher an ihn ran. „Wie heischt du?“, fragte sie neugierig, natürlich ohne dabei den Lolli aus dem Mund zu nehmen.
„Ahab“, erwiderte er kurz angebunden. Es schien ihm etwas unangenehm zu sein, dass sie ihm so auf die Pelle gerückt war. Doch da der Platz im Auto für die vielen Personen etwas begrenzt war, bleib ihm nicht weiter übrig, als es zu ertragen. Wegrücken viel da aus.
„Cool, wie der König von Israel, Vorfahr der Könige von Juda. Das hat was“, sie grinste ihn an und er lächelte halbherzig etwas zurück.
„Scheiße“, rief sie plötzlich und berührte sacht mit dem Finger den blauen Fleck an seinem Kinn, „War ich das etwa vorhin? Oh, das tut mir so leid, ehrlich! Also das Ganze... den Schlag meine ich natürlich auch, und dass ich dich beschimpft habe.... Hab ich dir sonst noch irgendwo wehgetan?“
Er schüttelte nur den Kopf und nahm ihren Finger vorsichtig herunter. „Nichts, was ich nicht schon erlebt hätte“, räusperte er sich.
„Heißt das jetzt, du lässt dich öfter von Frauen schlagen? Stehst du etwa auf Dominas?“, den Lolli immer noch im Mund, sah sie ihn ernsthaft fragend an. Ich hätte bei dieser Frage fast laut losgeprustet, konnte mich aber noch so gerade beherrschen. Ansonsten hätte ich mir bestimmt wieder Ahabs Unmut zugezogen und darauf konnte ich getrost verzichten.
„Natürlich nicht…“, eine leichte Röte stieg ihm ins Gesicht und er sah verlegen nach unten. „Ich meinte die Verletzungen. Also, dass jemand mir wehtun will, nur sind es im Allgemeinen keine Frauen.“
„Mhmmm“, machte Lucie und ich wunderte mich ehrlich, wie sie so scheinbar gelassen mit der ganzen Sache und unserm Raubein Ahab umging. Auch Sally, die neben mir saß, sah etwas erstaunt zwischen den beiden hin und her. „Es gibt für alles ein erstes Mal, oder?“, Lucie knuffte ihn kräftig mit dem Ellenbogen in die Seite und er zuckte erschrocken zurück, doch das ignorierte sie einfach. Wie auch die Tatsache, dass ihm eindeutig anzusehen war, dass er nicht erpicht auf eine Unterhaltung mit ihr war. Vermutlich würde er lieber im Kofferraum oder auf dem Dach mitfahren. Hauptsache, ein ganzes Stück weg von ihr.
„Jetzt sag aber mal, gehörst du auch zu dieser Volturi-Truppe? Irgendeiner muss mir doch mal erklären, wer jetzt hier wer ist, und wer bitte versucht hat, mich zu entführen. Und vor allem warum? Ist hier irgendein Krieg in Gange, von dem ich noch nichts gehört hab, oder ist das normal bei euch…?“, sie machte eine bedeutsame Pause und sah ihn erwartungsvoll mit großen Augen an.
Und unser harter Alleskönner…der wirkte gerade etwas ratlos. Ich kicherte still in mich hinein. Genauso wie Jake, der kurz den Kopf gedreht hatte, um mir zuzuzwinkern.
Aber Ahab wirkte eben auf mich, als ob er nicht wirklich gerne in unmittelbarer Nähe von Frauen zu sein schien. Außer, sie trugen genügend Waffen. Und konnten sie, wenn möglich, auch benennen und bedienen. Aber wer konnte ihm das verübeln? Sicherlich hatte er in seinem „Arbeitsalltag“ kaum mit anderen weiblichen Wesen zu tun. Und ein wenig tat er mir ja auch leid. Denn Lucie war, auch wenn sie es sicher nicht böse meinte, anscheinend eine kleine Plappertasche und schien sich, nachdem sie den ersten Schock wohl schnell überwunden hatte, ausgerechnet auf ihn stürzen zu wollen. Armer Kerl…
Wobei ihr das auch nicht zu verdenken war. Er saß schließlich direkt neben ihr, war in ihrem Alter und auch durchaus Tageslichttauglich, soweit ich das beurteilen konnte.
Und er war ihr Retter. Im weitesten Sinne jedenfalls. Er hatte zwar keine Ritterrüstung und ein weißes Pferd, aber es erfüllte doch den klischeehaften Traum eines jeden jungen Mädchens, gerettet zu werden, von einem mystischen Fremden. Das Zeug, aus dem Hollywoodstreifen gemacht werden.
Allerdings glaubte ich kaum, dass das auch Ahabs Vorstellungen entsprach. Jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinne und soweit ich ihn bisher kennengelernt hatte. Während Lucie sicher ein Typ für romantische Sonnenuntergänge zu zweit war, sah Ahab bei jedem Sonnenuntergang wohl eher den „lonesome rider“ vor sich und das entsprach auch genau der Einschätzung, die ich von ihm hatte.
Leise seufzend schloss ich die Augen und lehnte mich im Sitz zurück. Die Fahrt nach Hause würde wohl noch eine Weile dauern. Und nur nebenbei, lauschte ich dem nicht enden wollenden Redeschwall von Lucie, der dafür sorgte, dass ich sanft einschlummerte.
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