29 – Run and hide
„Was?“, neben mir schnappte Jasper nach Luft.
„Bella“, wiederholte ich atemlos und starrte weiter in ihre Richtung. Ich KONNTE mich nicht irren. Ich DURFTE mich nicht irren.
Sie war hier.
Wegen mir.
Und vielleicht auch ein wenig wegen dem Fucker Jazz. Aber wirklich nur ein ganz kleines bisschen.
„Was? Deine Süße ist hier? Wo denn? Kann ich sie kennenlernen?“, hörte ich plötzlich Emmett hinter mir. Ich drehte den Kopf und sah ihn blinzelnd an. Wo kam der denn jetzt her? Und was wollte er?
Auch Jasper starrte ihn sehr irritiert an.
Scheiße.
Er hat natürlich gemerkt, dass Emmett Bellas Namen zuordnen konnte. Mist, aufgeflogen…so viel dazu, dass Emmett sich nicht verquatschen würde!
„Was für eine Süße?“, mischte sich jetzt auch noch Alice ein.
Oh nein! War hier irgendwo ein Nest? Oder hatten die sich verabredet?
„Edward?“, kam es jetzt leise von Jasper. „Woher weiß Emmett von Bella?“
„Ach, Bella ist seine Süße? Wo ist sie? Kann ich sie auch endlich mal kennenlernen? Und wo habt ihr euch getroffen? Was macht sie so? Ist sie auch aus Chicago? Hast du dich wegen ihr von Tanya getrennt? Wollt ihr heiraten?“ Alice bombardierte mich förmlich mit ihren Fragen. Dabei lächelte sie mich strahlend an.
Also, sie ist hier. Da oben. Rotes Kleid. Auffälliges Rückentattoo. Sieht man nur kaum, weil der Rücken fast vollständig bedeckt ist. Eigentlich hat sie wunderschöne braune Haare, trägt aber im Moment eine blonde Perücke. Ihre Hauptbeschäftigung ist es, Leute um die Ecke zu bringen und ihre Jungs, nach den Fights, wieder zusammenzuflicken. JA, ich will sie heiraten, geschwängert habe ich sie schon. Herzlichen Glückwunsch, Du wirst TANTE. Super, oder?
Das HÄTTE ich sagen können.
Stattdessen sagte ich nur sehr einsilbig: „Fuck!“
Denn als ich wieder hoch zu Bella sah, war sie verschwunden.
„Jazz“, ich sah panisch zu ihm. „Sie ist weg!“
„Wir finden sie, Edward. Von dort oben gibt es nur zwei Möglichkeiten wieder runter zu kommen. Und ich glaube kaum, dass sie über den Balkon abhaut. Nicht im langen Abendkleid, oder vielleicht doch…ach egal, eventuell hat sie noch gar nicht bemerkt, dass du sie gesehen hast“, versuchte er mich zu beruhigen.
„Glaubst du wirklich?“, fragte ich zweifelnd. Das war schließlich Bella!
Er schüttelte den Kopf. „Eigentlich nicht, aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt, oder?“
Emmett klatschte auf einmal in die Hände. „Also WAS jetzt? Machen wir jetzt Jagd auf Edwards Betthäschen, oder nicht?“ Er wackelte anzüglich mit den Augenbrauen. „Sie wird doch nicht bewaffnet sein, oder?“
„Betthäschen? Jagd? Bewaffnet?“ Alice sah zwischen uns hin und her. „Kann mich mal jemand aufklären?“
Grinsend tat Emmett so, als würde er sich eine Mütze zurückschieben. „Tja also, ich glaube, das mit den Bienen und Blumen hast du schon kapiert, oder?“ Er spielte natürlich auf dem Handschellen-Unfall an…
Und Alice lief prompt knallrot an.
„Wir haben jetzt keine Zeit für lange Erklärungen. Wenn wir hier noch lange weiter diskutieren, ist sie längst über alle Berge“, warf ich ein.
„Okay“, Jazz schaltete sofort in seinen Bullenmodus. „Ich gehe links rum, Edward rechts rum und Emmett hinten rum.“
„Hinten rum? Hinten rum ist nicht mein Ding!“, protestierte Emmett.
Ich ließ einen frustrierten Seufzer los und beschloss, eben auf eigene Faust los zu ziehen, wenn die sich nicht langsam auskäsen konnten. So begann ich mich durch die tanzenden Paare zu schlängeln. Ein paar Mal wurde ich angesprochen, aber ich ignorierte es geflissentlich. Auch, dass ich aus Versehen mehreren Personen meinen Ellenbogen in die Seite rammte. Zugegebenermaßen war es auch nicht immer völlig aus Versehen. Denn ich WOLLTE DA DURCH und ZU BELLA!
Ich war schließlich auf einer Mission und da scherte es mich einen Scheißdreck, was um mich herum passierte.
Kurz bevor ich die Tür zum Foyer erreichte, in das die Treppe vom Obergeschoss mündete, prallte ich allerdings frontal mit einer Frau zusammen. Keine Ahnung, wo die so plötzlich herkam. Aber sie war wirklich 'ne Hübsche. Soviel Zeit bleibt mir schon, um das zu bemerken.
„Oh, mon dieu“, kam es prompt von ihr. „Es tut mir so leid!“ Sie lächelte mich kurz an, ehe sie sich herumdrehte und so plötzlich in der Menge verschwand, wie sie gekommen war.
Was war das denn? Eigentlich hatte ich sie ja umgerannt, und nicht andersherum?
Aber ich kam nicht dazu, weiter darüber nachzudenken.
„Siehst du sie irgendwo?“, hörte ich jetzt meinen Bruder neben mir. Anscheinend hatte der kurze Stopp genügt, damit er aufholen konnte. Ich wunderte mich wirklich immer mehr über ihn.
„Nee“, ich schüttelte den Kopf. „Aber sag mal, müsstest du denn nicht bei deiner frisch angetrauten Ehefrau sein und ihr Händchen halten?“
Emmett grinste. „Sie hat mich ab jetzt für den Rest ihres Lebens an der Backe, da kann sie auch mal einen Abend auf mich verzichten. Außerdem will ich nicht noch einmal mit ihrer Tante Else tanzen. Die hat Haare auf den Zähnen. Glaub mir.“ Dann wurde sein Grinsen noch breiter. „Und ich will deine Braut kennenlernen. Wie sieht sie eigentlich aus?“
„Rotes Kleid, blonde Perücke“, ratterte ich herunter, während ich mich weiter in Richtung Ausgang fortbewegte. Emmett folgte mir.
Im Foyer befanden sich nur wenige Leute. Das war die gute Nachricht. Aber es war auch verdammt groß. Mist! Für einen Moment verfluchte ich meinen Vater und seinen Größenwahn.
Aber dann sah ich Bella.
Sie befand sich am anderen Ende des Foyers, hatte mir den Rücken zugekehrt und lief langsam in Richtung Ausgang. Es wirkte tatsächlich so, als hätte sie wirklich nicht bemerkt, dass ich sie gesehen hatte.
Was gut war.
Schlecht allerdings war, dass ich – ohne weiter darüber nachzudenken – ihren Namen rief.
Sie fuhr herum und sah erschrocken in meine Richtung. Tja, JETZT hatte sie es wohl doch bemerkt.
Verdammt... verdammt...ich lernte es wohl nie, erst Nachzudenken, bevor ich handelte...
Eine Sekunde lang starrten wir uns einfach nur an und die Zeit schien still zu stehen.
Dann, als nächstes, klebten meine Augen an der kleinen Wölbung ihres Bauches. Die Schwangerschaft war bis jetzt noch kaum sichtbar, aber wenn man wusste, wie flach ihr Bauch gewesen war, doch deutlich erkennbar.
„Scheiße Mann, hast du ihr etwa einen Braten in die Röhre geschoben?“, kam es vom dem Schlauberger hinter mir. „Aber heiß ist sie ja...“ So langsam machte Emmett mir wirklich Angst. In den paar Wochen meiner Abwesenheit schien er sich komplett geändert zu haben. Oder ich hatte ihm bisher nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt, wie ich es eigentlich gedacht hatte. Aber diesen Gedanken schob ich zur Seite, denn es gab jetzt Wichtigeres.
Bella...
Obwohl ich ihm schon gerne irgendwas an den Kopf geworfen hätte, für den blöden Spruch gerade. Und verdient hätte er es definitiv. Aber selbst dazu fehlte mir jetzt die Zeit, denn Bella wirbelte herum und rannte los.
Und Dr. Watson und ich hinterher.
Als wir die Ausgangstür des Foyers erreichten, war sie schon die komplette Außentreppe hinab gerannt. Und ich hatte Seitenstechen. Hätte mein Training wohl doch wieder aufnehmen sollen. Mein Bruder neben mir japste nicht einmal. Und Bella – soweit ich das sehen konnte – natürlich auch nicht.
„Fuck, wie kann sie bloß trotz der hohen Schuhe so schnell sein?“, murmelte Emmett, während ich einfach nur froh war, dass sie heil die Treppe hinunter gekommen war. Ich hatte wirklich verdammte Angst, dass sie stürzte oder so was, und das ihr und dem Baby dabei was passierte. MEINEM Baby.
Immer mehrere Stufen auf einmal nehmend, hechteten wir die Treppe hinter ihr hinunter. Bella rannte währenddessen in einem Affenzahn bereits die lange Zufahrt hinab. In einer unglaublichen Geschwindigkeit wich sie den vereinzelten Pärchen aus, die dort spazieren gingen.
Auf halber Strecke wäre sie fast von einem übereifrigen Security-Typen, der meinte, sich ihr in den Weg stellen zu müssen, aufgehalten worden. Vermutlich dachte er, sie wäre eine Diebin oder so was.
Der Idiot stellte sich doch tatsächlich mit weit ausgebreiteten Armen vor sie hin und meinte, dass es ausreichen würde, sie zu stoppen.
„Jetzt kriegen wir sie“, kam es siegessicher von Emmett, kurz bevor Bella dem Kerl ihr Knie in den Schritt rammte und ihn dann mit einem Kinnhaken zu Boden schickte. Sie minderte dabei noch nicht mal ihr Tempo.
Tja….
So sehr es mich auch gefreut hätte, wenn sie aufgehalten worden wäre, war ich doch irgendwo auch tierisch stolz auf mein Mädchen. Und natürlich froh, dass ihr nichts passiert war.
„Scheiße“, grummelte Em neben mir. „Wäre ja auch zu einfach gewesen. Aber wirklich gute Reflexe, die Kleine.“
Plötzlich hörte ich Motorengeräusche. Irgendetwas näherte sich mit hoher Geschwindigkeit.
Im nächsten Moment sah ich einen einzelnen Scheinwerfer. Und ahnte es bereits…
Nein! Nein! Nein!
Das Motorrad schoss direkt auf Bella zu und hielt dann mit quietschenden Reifen unmittelbar vor ihr. Von der Statur her, konnte der Fahrer eigentlich nur Jake sein.
Mit vollem Tempo sprang sie auf den Sozius und umschlang Jake mit den Armen. Er startete sofort wieder durch und innerhalb von Sekunden waren sie verschwunden. Bella hatte mir nur noch einen kurzen, entschuldigenden Blick zugeworfen…
„Scheiße“, murmelte ich und blieb stehen. „Verdammte Scheiße!“ Mit dem Fuß kickte ich einen Müllkübel um. „Fuck, Fuck, Fuck!“ Mit jedem Wort fluchte ich immer lauter. Wer zuhörte, war eben selber schuld. Aber ich musste meiner Enttäuschung Luft lassen, sonst würde ich daran ersticken.
Doch so richtig verübeln konnte ich ihr ihre Flucht eigentlich ja nicht. Denn die Hälfte der geladenen Gäste waren entweder Richter, Anwalt, oder Bulle.
Und wenn man vom Teufel sprach, kam dieser auch gleich um die Ecke.
Jasper erreichte uns japsend und stütze seine Hände auf den Knien ab.
Habt... Habt ihr sie gesehen?“, kam es von ihm und er war völlig außer Atem.
Na, wenigstens war ich hier nicht der Einzige, der Training bitter nötig hatte..
„Yepp“, kam es von Emmett. „Heißer Feger. Hast du gewusst, dass Eddie-Boy ihr was untergeschoben hat? Was kleines Niedliches...“
Jasper nickte. Immer noch atemlos. „Sie ist entwischt?“
Ich brummte als Antwort und trat frustriert noch einmal gegen den Mülleimer. Das war wohl deutlich, oder?
„Schade eigentlich“, er kam langsam wieder zu Atem. „Ich hab es fast schon vor mir gesehen. Mitten auf der Hochzeit hält sie dir ihre Waffe an den Kopf und entführt dich zum zweiten Mal. Vor den Augen deines Vaters.“
„Und du hättest mir vermutlich zum Abschied zu gewunken, was?“, kicherte ich. Jasper grinste zurück.
„Wie ist sie entkommen?“, fragte er, nun wieder etwas ernster.
„Jake war auf einem Motorrad da“, gab ich leise zurück.
„Müsste der nicht eigentlich in Europa sein?“, erwiderte er.
„Er wird bestimmt zurückgekehrt sein, als er von der Sache gehört hat. Als sie raus rannte, kam er schon angefahren und hat sie mitgenommen.“ Ich seufzte erneut.
„Aber vorher ist sie noch gerannt wie der Teufel“, warf Emmett ein. „Ehrlich, ich habe noch nie eine Frau so schnell rennen sehen. Vor allem nicht in solchen Mörderabsätzen. Und dann hat sie den Deppen, der sie aufhalten wollte, einfach so ausgenockt. Erst in die Eier und dann auf die Zwölf. Wahnsinn. Also irgendwann musst du mir die mal persönlich vorstellen. Die ist echt ganz anders, als die Frauen, die du bisher hattest. Alter Falter. Also wenn ich Rosalie nicht hätte,... aber das Blond war nicht echt, oder…?“ Er sah begeistert zwischen Jasper und mir hin und her.
„Kannst du mir mal BITTE erklären, warum du IHM von Bella erzählt hast?“, kam es leicht gereizt von Jasper.
„Er hat aus Versehen mein Tatttoo gesehen“, entgegnete ich entschuldigend.
Er nickte seufzend. „Wir sollten langsam zurückgehen. Sonst fällt unsere Abwesenheit noch auf. Emmett, dir ist klar, dass du darüber kein Wort verlieren kannst, oder?“ Er sah ihn beschwörend an.
„Ist klar, Officer. Ich werde schweigen wie ein Grab. Aber was ist mit Alice?“
„Um Alice kümmere ich mich. Wenn euch jemand fragen sollte, dann sagt ihr, dass ihr einen Dieb beobachtet habt und versucht habt ihn einzuholen, okay?“
Emmett und ich nickten langsam.
„Ich rauche schnell noch eine, in Ordnung?“ Irgendwie brauchte ich einfach noch einen Moment nur für mich. Um in Erinnerungen zu schwelgen. Und die Enttäuschung zu verarbeiten.
Jasper nickte und Emmett klopfte mir auf die Schulter. „Wenn du nicht so viel qualmen würdest, hättest du deine Süße vielleicht doch eingeholt. Denk mal drüber nach.“
„Ha ha“, machte ich, während die zwei davon gingen. Frustriert griff ich in die Tasche meines Anzuges - und war gleich noch frustrierter.
Denn da waren keine verschissenen Zigaretten. Dabei hatte ich, bevor ich losgefahren war, erst eine neue Packung eingesteckt. Aber anstatt der Packung fühlte ich nur irgendwas Flaches. Papier oder so was. Angepisst zog ich es aus der Tasche.
Wie zur Hölle war das in meine Tasche gekommen? Und wo waren eigentlich meine verdammten Zigaretten?
Ich wollte den zusammengefalteten Zettel schon achtlos wegwerfen, als ich meinen Namen darauf las.
In einer, mir sehr vertrauten Handschrift.
Ruckartig riss ich den Zettel hoch und hielt ihn mir unter die Nase. Tief inhalierte ich seinen Geruch.
Bellas Geruch...
Vorsichtig faltete ich ihn auseinander. Irgendwie hatte ich Angst ihn zu lesen.
Was, wenn da stand, dass sie mich nie wieder sehen wollte?
Dass ich keinen Platz mehr in ihrem Leben hätte.
Dass sie mich nicht mehr liebte...
Alleine der Gedanke daran ließ mein Herz schmerzen.
Ich schloss kurz die Augen und atmete tief ein.
Dann las ich die wenigen Worte, die darauf standen.
Baby...
ich musste Dich einfach wiedersehen, auch wenn nur aus der Ferne war.
Jake hält es natürlich für keine gute Idee, aber wir Beide werden jetzt wissen, ob es geklappt hat.
Ich vermisse Dich wirklich, aber im Moment sehe ich keine Möglichkeit, dass wir uns in nächster Zeit treffen können.
Aber ich arbeite krampfhaft an einer Lösung. Kurzzeitig hatte ich schon überlegt, Dich einfach wieder zu kidnappen.
Wir werden uns irgendwann wiedersehen, verliere nie den Glauben daran.
Ich liebe Dich.
P.S. Rauch nicht so viel, dass schadet deiner Gesundheit.
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