16 Assassin
Die Zeit in Texas war wirklich...angenehm. Irgendwie.
Bella schien auf irgendeine Art entspannter zu sein. Das lag vielleicht daran, dass sie hier auch mal an die frische Luft kam.
Ich verbrachte fast den ganzen Tag mit Jazz, da sie irgendwelche Operationen durchführte. Davon bekam ich nicht viel mit, denn wir hielten uns immer in dem hinteren Zimmer auf. Jazz erzählte mir von den Dingen, die er mit ihr zusammen erledigt hatte. Ich bekam den Eindruck, als wollte er mich schocken, damit ich mich von ihr zurückzog.
Was ihm aber nicht wirklich gelang.
Wenn sie ihre OP’s fertig hatte, machten wir Spaziergänge über die Farm. Zusammen mit Seth. Und Jazz. Und einem halben Dutzend stiller Begleiter, die uns in einigem Abstand folgten. Als ich Jazz deswegen ansprach, meinte er, es wären Sicherheitsvorkehrungen. Weswegen, hatte er mir aber nicht verraten.
Die Zeit verging wie im Fluge. Ich genoss, ehrlich gesagt, dieses kleine Gefühl der Freiheit. Und das Zusammensein mit Jazz. Ich mochte ihn auf Anhieb.
Wobei die Freundschaft zwischen ihm und Bella wirklich eigenartig war. Ich meine, sie wusste ja nicht, was er war. Wenn sie es wüsste, würde sie ihn vermutlich ohne zu zögern umbringen.
Aber so saßen die beiden in einem Raum. Unterhielten sich über alles mögliche. Alberten herum.
Ich sprach mit Jazz darüber, ob ihm das nicht schwer fiele, sich so zu verstellen. Er erläuterte mir, dass es schon schwierig sei, immer alle Aufträge auszuführen, da es oft mit seinen ethischen Grundsätzen kollidierte. Aber wenn er nicht auffliegen wollte, musste er tun, was von ihm verlangt wurde. Bisher hatte er es vermeiden können, auf jemanden zu schießen, außer zu Verteidigungszwecken, aber es graute ihm davor, irgendwann jemanden eliminieren zu müssen.
Und Bella...
Er hatte gemischte Gefühle ihr gegenüber. Auf der einen Seite war sie eben eine(r) von den „Bösen“, aber auf der anderen Seite kam er nicht umhin sie zu mögen. Sie hatte ihm mal „den Arsch gerettet“, wie er sich ausdrückte und das würde er ihr nie vergessen. Irgendwie waren die beiden auf einer Wellenlänge. Sie hatte ihm sogar eine Waffe geschenkt. Dieselbe, wie ihre eigene, nur in schwarz.
Bei unseren Spaziergängen rannten beide auch immer mit einem Stetson herum.
Mit ein wenig Wehmut dachte ich daran, dass wir ja irgendwann zurückkehren müssten. Und das Jazz hierbleiben würde. Er versuchte mir zwar Mut zu machen und meinte, er wäre davon überzeugt, dass mich Bella irgendwann gehen lassen würde, aber in mir kam ein mulmiges Gefühl hoch. Es tat gut, ihn um mich zu haben, da ich wusste, dass ich ihm vertrauen konnte. Und Bella konnte nun mal nicht 24 Stunden am Tag auf mir hocken.
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Seit unserer Ankunft waren zwei Wochen vergangen.
Ich erwachte, als es gerade anfing dämmerig zu werden. Alles war in ein unwirkliches dunkelgrau getaucht. Und es herrschte Totenstille. Nur die regelmäßigen Atemzüge von Seth, Bella und mir waren zu hören. Irgendwo hörte ich einen Vogel zwitschern. Worüber ich mich ein wenig wunderte. Es war inzwischen Herbst. Allerdings war es hier noch recht warm.
Ich grübelte nicht weiter darüber nach, sondern genoss die friedliche Stille. Vorsichtig hob ich meinen Kopf, um Bella beim Schlafen zu beobachten. Sie machte immer so süße Schnuten, wenn sie träumte.
Plötzlich hob Seth den Kopf und das leise Klicken des Entsicherungshebels durchschnitt die Stille. Zeitgleich versteifte sich Bellas Körper in meinen Armen.
„Fuck“, zischte sie leise.
Im nächsten Moment war sie aus meinen Armen verschwunden und stand neben dem Bett. Seth begann zu hecheln.
„Zieh dich an - schnell“, flüsterte sie mir zu und schlüpfte in ihre Sachen.
„Was ist los?“, fragte ich leise und beobachtete fasziniert, wie sie sich anzog, ohne ihre Waffe ein einziges Mal aus der Hand zu legen, Allerdings verzichtete sie auch auf Unterwäsche und zog sich nur ein Top, Hemd, Jeans und ihre Boots an.
„Ungebetene Gäste“, erwiderte sie ebenso leise. „Fertig?“
Ich schloss meine Hose und nickte ihr zu.
Ungebetene Gäste? Das bedeute bestimmt nichts Gutes.
Sie ergriff meine Hand und zog mich Richtung Tür. Dabei lief sie anscheinend auf den Ballen, denn sie machte keine Geräusche. Langsam öffnete sie die Tür und spähte in den Flur. Dann winkte sie Seth heran und flüsterte ihm ein paar Worte zu, die ich nicht verstand. Er verschwand durch die Tür und lief lautlos davon.
Bella zog mich durch die Tür und wir gingen langsam den Flur entlang. Dabei hielt sie die Waffe am ausgestreckten Arm nach unten. Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen und schien zu lauschen.
MUSE „ASSASSIN“
Plötzlich krachte etwas in dem Zimmer, aus dem wir gerade kamen. Es hörte sich an, als würde Glas splittern.
„Verdammt“, zischte Bella etwas lauter und begann zu rennen. Der Flur erstreckte sich schier endlos vor uns. Die Absätze ihrer Boots klackten laut auf dem Holzfußboden. Wir rannten an mehreren Türen vorbei, aber sie hielt nicht an.
Als wir fast an der Stelle angelangten, wo der Flur nach rechts abknickte, streifte mich plötzlich etwas heißes am Arm. Ich stieß einen kurzen unterdrückten Schmerzensschrei aus.
Fuck, das brannte wie die Hölle...
Im nächsten Moment wirbelte mich Bella herum. Ich knallte gegen die Wand und spürte wie Bella gegen mich krachte und mich mit dem Rücken an die Wand presste. Ihr ganzer Körper stand unter Spannung. Sie hatte ihre Füße etwa schulterbreit auseinander gestellt, ihre Hände waren mit der Pistole nach vorne gerichtet. Es war exakt die Stellung, die sie bei den Schießübungen einnahm.
Und sie schoss, bevor ich überhaupt realisiert hatte, was gerade passierte.
Adrenalin strömte durch meine Adern. Mein Atem kam kurz und abgehackt.
Scheiße, ich bekam doch nicht etwa eine Panikattacke?
Bella schien das komplette Magazin zu leeren. Ein Schuss nach dem anderen donnerte durch den Flur. Dann hörte ich, wie das leere Magazin scheppernd auf dem Boden aufschlug. Und einen Ton, der mir verriet, dass sie nachlud. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie sich Munition eingesteckt hatte.
Am Ende des Flures gab es ein klatschendes Geräusch. Wer auch immer dort gestanden hatte, sie hatte ihn wahrscheinlich in Schweizer Käse verwandelt.
Ich schloss kurz die Augen, um mich zu beruhigen. Versuchte langsamer zu atmen.
„Tut es sehr weh?“, fragte sie mich leise.
„Ist er angeschossen?“, hörte ich leise Jaspers Stimme. Sie kam irgendwo von unten.
Langsam öffnete ich meine Augen, und sah, dass Jazz mit gezückter Pistole vor Bella kniete.
„Yepp, aber vermutlich nur ein Streifschuss“, murmelte Bella. „Und er hat sicherlich einen Schock.“
Ach was? Einen Schock? Wovon denn? Ist doch alles ganz relaxt! Kinderkacke, ehrlich...
Bevor ich antworten konnte, nahm ich irgendeine Bewegung am Ende des Flures wahr.
Die zwei vor mir anscheinend auch, denn sie begannen zeitgleich zu feuern.
Die Schüsse schallten wie Donnerhallen durch den Flur, denn die beiden schossen annähernd gleichzeitig. Fast synchron ließen sie ihre leeren Magazine nach unten fallen, schoben ein neues ein und schossen weiter.
Einen Moment lang wunderte ich mich, dass ich nur ihre Schüsse hörte. Na gut, vorhin den Schuss habe ich ja auch nicht gehört. Vermutlich benutzten die anderen – wer auch immer es war – Schalldämpfer.
Scheiße, hoffentlich war es nicht die Polizei!
Die Vorstellung, dass Jazz vielleicht gerade dabei war Kollegen von sich zu erschießen, war beunruhigend. Aber welchen Grund sollten sie haben?
Auf einmal herrschte eine gespenstische Stille, die nur vom Geräusch des Nachladens unterbrochen wurde.
„Ich glaube, wir haben sie erwischt“, hörte ich Jazz leise.
„Aber das waren definitiv nicht alle. Maximal dir Vorhut“, erwiderte Bella leise. „Wir müssen raus, in den ehemaligen Schweinestall. Ich muss mir Edwards Wunde ansehen. Und ich brauche Munition, meine ganzen Waffen sind dort.“
Jazz erhob sich langsam, die Waffe immer noch im Anschlag. „Hast du schon eine Idee, um wen es sich handeln könnte?“
„Ich habe eine Vermutung, aber dafür müsste ich erst einen der Typen sehen.“
Sie bewegte sich langsam vorwärts, und zog mich hinter sich her. Jazz lief ein paar Schritte vor uns.
Fast lautlos schlichen wir den Flur zurück in Richtung Schlafzimmer.
Plötzlich stupste mich was am Bein, ich unterdrückte ein Schreien und sah hinunter auf Seth, der hinter mir her trottete.
Kurz vor der Schlafzimmertür lagen fünf tote Männer. Jazz bückte sich und beäugte einen genauer.
„Mexikaner“, murmelte er. „Montalban“, fügte er nach einer Weile hinzu. „Sie tragen die typische Tätowierung.“
„Hatte ich es doch geahnt“, zischte Bella. „Na gut, weiter geht es.“
Als wir an der Tür ankamen, spähte Jazz mit vorgehaltener Waffe ins Zimmer, bevor er mit einem Satz durch die Tür sprang. „Ist sauber“, rief er von drinnen.
Bella zog mich langsam durch die Tür. Eines der Fenster war zerstört. Davor lagen Glassplitter und die Gardine wehte gespenstisch im Wind.
Jazz hatte bereits das Fenster daneben geöffnet und spähte vorsichtig nach draußen. „Scheint sauber zu sein“, wisperte er.
„Okay“, entgegnete Bella leise. „Ich gehe zu erst raus. Jazz, kannst du Seth über die Glassplitter tragen? Edward, du kommst als letztes.“
Sie begab sich zum Fenster und schwang sich hinaus. Ihre Landung war fast lautlos. Danach schnappte Jazz sich Seth und hob ihn durch das Fenster. Er sprang gleich hinterher.
Schnell lief ich ebenfalls zum Fenster. Hier drin alleine zu sein, war wirklich unheimlich. Was, wenn sich noch einer unter dem Bett versteckte? Vorsichtig setze ich mich auf das Fensterbrett, schwang meine Beine hinüber und ließ mich nach draußen gleiten.
Jazz und Bella standen mit gezückten Waffen neben dem Fenster und sahen sich um.
„Sie scheinen wirklich erst die paar rein geschickt zu haben“, murmelte Jazz leise.
„Yepp“, kam es von Bella. „Aber glaube mir, das war erst der Anfang. Also komm, wir haben nicht viel Zeit.“
Im Halbdunkeln schlichen wir am Gebäude entlang bis zur Ecke. Jazz spähte vorsichtig um diese, ob sich jemand dort aufhielt, aber es war alles ruhig. Auch aus dem Gebäude kamen keinerlei Geräusche.
Hatten die anderen die Schüsse nicht gehört?
Allerdings lag Bellas Zimmer auch weitab von allen anderen...
Wir liefen einzeln quer über den Hof zum ehemaligen Schweinestall. Zuerst Jazz, während Bella ihm den Rücken frei hielt. Dann Seth. Dann ich.
Bei mir standen Bella und Jazz bereit, um mich abzusichern. Das Schlusslicht bildete Bella.
Jasper brach eines der Fenster auf, damit wir hinein schlüpfen konnten. Die Tür zu diesem Gebäude befand sich auf der Vorderseite, aber beide hielten es für zu gefährlich, drumherum zu laufen.
Ein penetranter Geruch nach Desinfektionsmitteln schlug mir entgegen. Bella nahm wieder meine Hand und zog mich hinter sich her.
Wir durchquerten das komplette Gebäude, bis wir uns in dem Raum befanden, der den Eingangsbereich bildete.
Jazz sicherte das Fenster ab und sah nach draußen, während Bella mich auf einen Stuhl setzte. Dann kramte sie in einer Tasche herum und legte eine Mini-Stirnlampe um.
Mit einem Messer trennte sie den Ärmel meines Hemdes ab, um an die Wunde zu kommen. So richtig spürte ich keine Schmerzen, aber vermutlich war das meinem erhöhten Adrenalinspiegel zu verdanken. Meine Atmung hatte sich auch noch nicht normalisiert.
„Ist bloß ein Streifschuss“, nuschelte sie. „Ich werde ihn desinfizieren. Dann bekommst du vorbeugend Antibiotika und was gegen die Schmerzen.“
„Aber kein Morphium“, zischte ich leise.
„Nein, kein Morphium“, kicherte sie und gab mir einen flüchtigen Kuss.
Nach etwa zehn Minuten war sie mit der Behandlung fertig, legte die Lampe ab und wandte sich Jazz zu. „Irgendwas zu sehen?“
„Nope“, erwiderte er. „Sieht alles ruhig aus. Zu ruhig, irgendwie.“
„Ich wette mit dir, die nächsten stehen schon innerhalb der Farm und warten darauf, dass es losgeht.“ Sie zog plötzlich ihr Hemd aus und hob eine Tasche auf den Tisch neben mir.
So langsam wurde es hell und ich erkannte, dass sie eine schwarze Weste aus der Tasche nahm. Sie schlüpfte hinein und zog das Hemd wieder darüber. Allerdings verknotete sie es jetzt in der Hüfte. Dann legte sie sich einen Gürtel um, der ringsherum Schlaufen hatte, in die sie dann Magazine stopfte.
Ich blickte verwirrt zu Jazz, der sie ebenfalls irritiert anstarrte.
Als nächstes holte sie zwei Pistolen aus der Tasche – augenscheinlich Glocks – und steckte sie links und rechts in den Gürtel. Den Abschluss bildete ein Gewehr, dass sie sich über den Rücken hängte.
„Du siehst aus, als wolltest du in den Krieg ziehen“, wisperte ich leise.
Sie wandte den Kopf, zog eine Augenbraue hoch und lächelte. „Genau das habe ich vor, Edward.“
„Was?!“, zischten Jasper und ich gleichzeitig.
„Du willst da rausgehen?“, fragte ich entsetzt.
Sie konnte doch nicht... das wäre doch ein Selbstmordkommando.... Jazz... tu irgendwas!
„Bella“, kam es jetzt von Jazz. „Du kannst da nicht rausgehen!“
„Mir bleibt keine andere Wahl“, sie funkelte ihn an. „Die Montalban wollen mich und ich werde bestimmt nicht warten, bis sie hier durch die Tür kommen. Angriff ist noch immer die beste Verteidigung!“ Sie warf einen Blick zu mir.
„Sie wollen dich? Wieso?“
„Erinnerst du dich, dass ich dir erzählt habe, wozu wir die DNA Proben nutzen?“
Ich nickte langsam.
„Gut. Ich habe den Sohn vom alten Montalban damit in den Knast gebracht. Und dort wurde er von anderen Insassen ermordet.“
„Was? Sie werden dich töten, wenn du da raus gehst!“, rief ich panisch.
„Werden sie nicht, Baby“, gab sie lächelnd zurück. „Sie wollen mich lebend.“
„Lebend?“, fragte ich ungläubig.
„Yepp, lebend.“, sie schnaubte leise, „Um mich dann langsam zu töten.“
Mit weit aufgerissenen Augen sah ich sie an.
„Hab keine Angst, Baby“, sie drückte mir einen Kuss auf die Lippen. „Dafür bin ich ausgebildet worden. Um da raus zu gehen und ihnen den Arsch aufzureißen.“
Sie stand auf und drückte mir ihre Sig Sauer in die Hand, dann wandte sie sich an Jazz. „Du bleibst bei ihm. Munition findest du zur Genüge in der Tasche. Seth bleibt ebenfalls hier.“
Er nickte. „Viel Glück da draußen!“
„Wird schon schiefgehen“, murmelte sie grinsend, griff sich den Stetson, der auf dem Tisch lag und setze ihn auf. „Pass du mir gut auf meine Beiden auf, okay?“ Dann öffnete sie die Tür und verschwand nach draußen.
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